Freundschaftsverein Tczew-Witten e.V.



"Europa besteht nicht nur aus Wirtschaft"

Peter Liedtke hofft auf regen sozialen und kulturellen Austausch mit polnischer Partnerstadt

Von Mirco Stodolick

Ins europäische Haus sind am 1. Mai zehn neue Bewohner eingezogen. Die (Wohn-)Ge-meinschaft der alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten muss sich erst noch finden, die Menschen müssen aufeinander zugehen. Hierzu will der Freundschaftsverein Tczew-Witten seinen (kleinen) Beitrag leisten.

"Europa muss aus mehr bestehen als nur aus Wirtschaft", mahnt der Vorsitzende des Freundschaftsvereins, Peter Liedtke. Er fordert ein soziales Europa ein. Eines, das den kulturellen Austausch pflegt, das die Menschen "auf gleicher Augenhöhe" zusammenbringt, wo nicht Reich über Arm regiert. Die Städte-partnerschaften seien das Fundament, auf dem echte Nachbarschaft gebaut werden könne - gerade bei einer historisch so sensiblen Beziehung wie zu Polen.

Wir kennen sie doch, die Polen. "Heute gestohlen, morgen in Polen" - das ist doch nicht einfach unserer Fantasie entsprungen. Nein, vor einem Polen ist nichts sicher - "machen Sie Urlaub in Polen, Ihr Auto ist schon da!" Keinen europäischen Nachbarn reduzieren wir so widerstandsfähig auf ein Klischee, keinem gehen wir lieber aus dem Weg. Keinen behandeln wir derart beständig wahlweise mit Spott oder Ignoranz. Zum Stichwort "Polenwitze" spuckt Google 24 100 Einträge aus, zu "Lech Walesa" sind´s läppische 3910. Uns genügt es zu wissen, dass wir über Polen nicht mehr wissen müssen. Wir haben da ja schon genug angerichtet. Also besser nicht drüber reden.

Ein geringes Interesse an deutsch-polnischen Themen beobachtet auch Peter Liedtke: "Polen ist nicht das Thema, das die Massen bewegt." Nur knapp mehr als 20 Mitglieder zählt der

Freundschaftsverein Tczew-Witten -"und es ist kein Jugendclub, leider. Städtepartnerschaften sind meistens eine Veranstaltung der älteren Semester", bedauert Liedtke. Beklagenswerter sei aber, wie gesagt: Viele Deutsche wissen fast nichts über Polen - und sie scheuen sich davor, es kennen zu lernen.

Dabei, so Liedtke, lägen rund 700 Jahre gemeinsamer, teils grausamer Geschichte hinter beiden Staaten. Und das Ruhrgebiet: Das schwarze Gold lockte schon im 19. Jahrhundert aber-tausende Polen ins Revier. Erst waren es Emmigranten, nach 1945 kamen die Aussiedler. "Man stolpert hier an jeder Straßenecke über jemanden, der aus Polen kommt", so Liedtke.


Europa in Witten

Freundschaftsverein Tczew - Witten


Der Diplom-Bibliothekar engagiert sich seit Beginn an im Freundschaftsverein Tczew-Witten dafür, dass es nicht beim Stolpern bleibt. Der Freundschaftsverein will Deutsche mit Polen ins Gespräch bringen - ohne dabei die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu verschweigen. Eine Annäherung zu Polen, so Liedtke, erscheine gerade vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung zwingend geboten: "Es wird deutlich, dass dort ein Feld mit vielen offenen Fragen ist. Wir sind nun alle Bürger einer EU. Und so stehen wir vor der Aufgabe, das Leben in dieser Union gemeinsam zu gestalten."

Ein Ausbau der Kulturkontakte zur polnischen Partnerstadt wäre für Liedtke wünschenswert. In den 70er und 80er, aber auch noch in den 90er Jahren habe sich auf diesem Gebiet noch mehr getan als heute, so der 41-Jährige: Polnische

Chöre seien zu Gast in Witten gewesen, das Orchester des Ruhr-Gymnasiums sei in Tczew aufgetreten. Heute, da die Stadtkasse leer ist, gebe es für derlei grenzübergreifende kulturelle Projekte kaum mehr öffentliches Geld; und das Interesse privater Sponsoren, so hat Liedtke leidlich feststellen müssen, beschränkt sich auf einige wenige Förderer der europäischen Idee.

Polen und dessen historisch belastetes, sensibles Verhältnis zu Deutschland versucht der Freundschaftsverein in Kooperation mit der Volkshochschule seit drei Jahren in einer Vortragsreihe zum Thema zu machen. Die Resonanz blieb bescheiden. "Polen ist auffällig außerhalb der Wahrnehmung" - häufig bemüht Liedtke derlei Sätze für das Desinteresse der Deutschen an ihrem neuen Nachbarn.

Immerhin: Im kleineren Rahmen funktioniert das Miteinander. So waren noch im November acht polnische Fachkräfte der Behinderten und Altenpflege zu Gast in Witten, um im Frauenheim Wengern, in der Kinder-tagesstätte auf dem Helenenberg und in der Fachschule für Sozialpädagogik des Diakoniewerks Ruhr Anregungen für ihre Arbeit in Tczew zu bekommen. Andersherum lohne es auch, so Liedtke, sich in Polen Ideen zu holen: "Dort lernen schon Kindergartenkinder Deutsch und Englisch."

"Ein Europa der Bürger", so der Vor-sitzende des Freundschaftsvereins, "braucht das offene Gespräch." Dieses lasse sich im Rahmen der Städte-partnerschaften fruchtbar führen, wie Bundespräsident Johannes Rau jüngst noch unterstrichen habe, als er die Städtepartnerschaften als Stabilisatoren der deutsch-polnischen Beziehungen bezeichnete.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Witten. 7. 5. 2004


zurück


c/o Peter Liedtke     Postfach 1824     58408 Witten

witten@tczew.de