Freundschaftsverein Tczew-Witten e.V.



Ein Lese- und Gesprächsabend über polnische Literatur

Dienstag, den 22. 5. 2007 um 19.00 Uhr

im Gemeindezentrum der evangelischen Johanniskirchengemeinde Witten


"Der Hintergrund des Auges" - Eine Erzählung von Hanna Krall

Terror, die Herrschaft des Schreckens, der Gewalt ist ein Thema dieser Erzählung der polnischen Autorin. Sie berichtet über den polnischen Zwangsarbeiter Stanislaw W. und seinen Sohn Stefan, der 1990 als verurteilter RAF-Terrorist in der Haftanstalt Köln-Ossendorf einsitzt. Was kann uns dieser »polnische« Blick auf die noch immer unverheilte Wunde in der bundesdeutschen Geschichte sagen. Ist er hilfreich? Aufklärend?
Die Autorin der Erzählung hat als Kind die deutsche Okkupation Polens und den rassistischen Terror gegen Polen und Juden erlebt. In ihren ersten Reportagen beschreibt sie alltägliche Lebenssituationen in Polen und setz sie sich auch mit den Spuren des Zweiten Weltkrieges auseinander. Ihren Texten ist noch anzumerken, wie sie den Menschen zuhört, sie zu Wort kommen läßt. Für ihren bewertungs-, kommentarlosen und knappen Stil der Darstellung wurde sie über die Grenzen Polens hinaus bekannt. Ihr Stil gibt dem Leser die Chance, sich dem, was da an Schrecklichem erzählt wird, anzunähern. Auf diese Weise wird es dem Leser ermöglicht, bei aller Betroffenheit gleichwohl einen klaren Kopf zu behalten.
Wir wollen uns fragen, was uns diese Erzählung von Hanna Krall sagen kann. Sie entstand 1990, nachdem Krall den für die Beteiligung an dem Mord an dem Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer verurteilten Stefan W. in der Haftanstalt besucht hatte. Auch 30 Jahre nach dem "Deutschen Herbst" polarisiert die Diskussion um die Verbrechen und die Täter die deutsche Öffentlichkeit noch immer. Was kann hier im Zusammenhang mit dieser Erzählung Völkerverständigung konkret bedeuten? Geht die von uns angestrebte Freundschaft zwischen Deutschen und Polen so weit, dass wir einer »polnischen« Sicht auf dieses lange noch nicht abgeschlossene Kapitel der bundesdeutschen Geschichte etwas abgewinnen können? Wie lenkt die Autorin in ihrer Darstellung unseren Blick auf die Taten, die Täter und die Opfer. Ist sie neutral oder parteiisch, ist es angesichts der Schwere der Schuld überhaupt möglich, sachlich zu berichten?
Nachdem wir die Erzählung zu Beginn unserer Veranstaltung gelesen haben, wollen wir über diese und weitere Fragen gemeinsam nachdenken und diskutieren.




Über die Autorin:

Hanna Krall wurde am 20. Mai 1937 in Warschau geboren. Den Krieg überlebte sie in Verstecken auf der arischen Seite. Studium der Publizistik an der Warschauer Universität. Danach Arbeit als Journalistin, zunächst 1957 bis 1966 für »Zycie Wrszawy«, dann 1966 bis zur Verhängung des Kriegsrechts 1981 für die Wochenzeitschrift »Polityka«. Ihr Publikationsverbot brachte Hanna Krall in Verbindung zur Solidarnosc, in deren Zeitung »Gazeta Wyborcza« sie bis heute veröffentlicht. Mit »Dem Herrgott zuvorkommen«, einer literarischen Reportage über Marek Edelman und den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 und dem 1985 in einem Pariser Exilverlag erschienenen autobiographischen Roman »Die Untermieterin« hatte die Autorin ihr Thema gefunden: das Aufspüren von vergangenem jüdischen Lebens in Polen. Hanna Krall arbeitet seit 1979 auch für Theater und Film. In den 90er Jahren nahm sie Stipendien in Berlin und in Iowa wahr. Sie lebt heute als freie Autorin in Warschau. Hanna Krall hat zahlreiche nationale und internationale Preise erhalten, ihre Werke wurden in siebzehn Sprachen übersetzt.
(Angaben des Verlages Neue Kritik, der die Bücher von Hanna Krall in deutscher Sprache publiziert.)





Bücher in deutscher Sprache von

Hanna Krall:

Eine ausnehmend lange Linie / Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. - 136 Seiten
ISBN 3-8015-0377-1

Um das Schicksal der Bewohner eines Hauses in der Altstadt von Lublin lässt die Autorin ein Kaleidoskop aus Ereignissen und Begegnungen entstehen, die sich zu einem Panorama der polnisch-jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts fügen. Hier führt die Erinnerung einen aussichtslosen Kampf gegen das Nichtwissenwollen.



Ach du bist Daniel / Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. - 120 Seiten
ISBN 3-8015-0360-7

Die äußerst verknappte Erzählweise folgt dem immer fragmentarischer werdenden Gedächtnis der wenigen überlebenden Zeitzeugen. Der Text kann wie ein Tagebuch der polnischen Autorin
gelesen werden, geschrieben mit größter Zurückhaltung und dadurch umso bewegender.



Da ist kein Fluss mehr / Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. - 180 Seiten
ISBN 3-8015-0331-3

Knapp und poetisch verbindet Hanna Krall Einzelschicksale mit historischen Ereignissen und biblischen Motiven. Und so nimmt es nicht wunder, dass neben der Jungfrau von Wlodzimierz von Feldmarschall Rommel, neben dem Don Juan des Otwocker Proletariats von Rabbi Besser aus New York die Rede ist.

In der Stadtbücherei Witten: Signatur:  SL KRAL 



Existenzbeweise. Erzählungen / Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. - 202 Seiten
ISBN 3-8015-0288-0

Die Protagonisten dieser Erzählungen entdecken nach Jahren, dass sie Juden sind; sie geben vor, jüdisch zu sein und sind es nicht; sie glauben sich jüdisch, können es aber nicht belegen. Die Wahrheit in sich tragend, ohne sie zu kennen, suchen sie, ihre Existenz zu beweisen.

In der Stadtbücherei Witten: Signatur:  SL KRAL 



Hypnose. Erzählungen / Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. - 245 Seiten
ISBN 3-8015-0306-2

Die Geschichten erzählen, wie gegenwärtig die Folgen des Zweiten Weltkrieges noch sind, und handeln von den ewigen Dingen des Lebens: Angst, Liebe, Eifersucht und Tod, für die Polen, Kanada und Deutschland nur die Kulissen sind.

In der Stadtbücherei Witten: Signatur:  SL KRAL 



Unschuldig für den Rest des Lebens. Frühe Reportagen / Aus dem Polnischen von Hubert Schumann u. a. - 178 Seiten
ISBN 3-8015-0350-X

Hanna Kralls literarische Reportagen erzählen vom Alltag im Polen der siebziger Jahre, von den Ängsten und Träumen seiner Bürger. Sie sind Zeugnisse aus den Tagen des Kommunismus, dessen Realität so manche Absurdität mit sich brachte.







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