Magister Arkadiusz Weniak ist Mitarbeiter des Staatsarchivs Elblag und Doktorand im Fach Geschichte an der Universität Gdansk. Er wird über seine Forschungen zu den Bevölkerungsverschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Geschichte der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Elbing berichten.
Dieses Thema ist noch heute geeignet, in beiden Ländern für viele Emotionen zu sorgen. Unsere Veranstaltung soll dazu beitragen, sowohl die berechtigten Gefühle der persönlich Betroffenen zu respektieren, als auch eine sachliche historische Darstellung der Ereignisse und ihre Einordnung in die geschichtlichen Zusammenhänge zu leisten. Auf dieser Grundlage hoffen wir, einer deutsch-polnischen Verständigung näher kommen zu können.
In den Städten und Dörfern im Osten, in die der 1939 von Deutschen begonnen Krieg 1945 zurückkehrte, begann nun auch für die deutsche Bevölkerung eine Zeit der Deportationen, Raubmorde, Plünderungen und Gewalttaten. Große Teile der deutschen Bevölkerung hatte versucht, vor der herannahenden Front nach Westen zu fliehen. Wer zurückblieb mußte oftmals erleben, dass Deutsche, in dem von der Nazi-Okkupation befreiten Polen, nicht mehr willkommen waren. Verpflichtung zur Arbeit, Schikanen und das, was die Einen Aussiedlung und die Anderen Vertreibung nennen, begannen. Auch hierüber wollen wir sprechen, unterschiedliche Sichtweisen, die von unterschiedlichen Erfahrungen herrühren. Gemeinsam mit unserem Gast aus Tczew wollen wir versuchen, aus polnischer und aus deutscher Perspektive die Geschichte der Aussiedlung / Vertreibung wahrzunehmen und zu diskutieren.
Tczewer Historiker diskutiert mit deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen
Die Veranstaltung mit dem Gast aus Tczew war trotz des sommerlichen Biergartenwetters doch gut besucht. Herr Welniak, der als Historiker im Staatsarchiv Elbing / Elblag arbeitet und seine Doktorarbeit über die Bevölkerungsverschiebungen in Elbing nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt, zeigte zuerst einige Bilder des alten Elbings vor und nach dem Krieg. Elbing war 1945 von den Nationalsozialisten zur Festung erklärt worden und 22 Tage lang verteidigt worden. Dies führte zum Tod von fast zwanzigtausend Menschen und zu einem mehr als 90 % zerstörten Stadtzentrum. Noch heute sind in Elblag weite Freiflächen zu sehen, wo sich früher einmal ein reiches städtisches Leben abspielte und auf denen man erst in den letzten Jahren wieder mit einer Bebauung begonnen hat.
Der Referent berichtete detailreich von seinen Forschungen, mit denen er versucht, die Vorgänge in den Jahren 1945 bis 1947 anhand vorhandener Verwaltungsakten zu rekonstruieren. Die Bürger von Elbing waren Deutsche, hier war eine ganz andere Situation gegeben, als z. B. in unserer Partnerstadt Tczew, in der die deutsche Minderheit in den 1930'er Jahren nur 9 % der Bevölkerung stellten. Mehr als die Hälfte der Elbinger begaben sich vor der herannahenden Front auf die Flucht. Für die Verbliebenden begann eine schreckliche Zeit des Mangels an Nahrungsmitteln, Wohnraum und gesundheitlicher Versorgung, erschwert durch Übergriffe, Mißhandlungen und den Zwang zur Arbeit. Der Krieg der von Deutschland ausgegangen war, war in die Heimat zurückgekehrt und traf fast alle ohne Unterschied. So mußten z. B. erklärte Hitler-Gegner bei der Organisation der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung helfen. Die freiwerdenden Wohnungen und Unterkünfte wurden von den neu angekommenen polnischen Bürgern aus den 1921 an Polen gefallenen östlichen Gebieten bezogen. Zwischen 1946 und 1947 mußten so mehr als 12.000 Deutsche Elbing verlassen.
Gäste der Veranstaltung, die selber Flucht und Vertreibung erlebt hatten, waren froh und auch dankbar, dass es möglich war, offen über diese Zeit zu sprechen und dass ein polnischer Historiker zu dieser Geschichte forscht. Es entspannte sich eine engagierte Diskussion im Anschluß an den Vortrag. Hierbei zeigte sich, dass nur ein Teil der Anwesenden in Witten gebürtig war, ein großer Teil der Gäste war selbst oder über die Verwandtschaft mit dem Thema Flucht oder Vertreibung vertraut. Während sich aber alte Wittener noch an die Flüchtlingslager in Witten als etwas Exotisches erinnern konnten, wußten die, die selber heimatlos geworden waren, wie das Leben in diesen Lagern ausgesehen hatte. Durch eigene Erlebnisse bei Reisen nach Polen wußten einige Wittener aber auch von der Angst zu berichten, die sie bei älteren polnischen Bürgern erlebten hätten, die Angst, die Deutschen könnten zurückkehren und es käme zu erneuter Enteignung und Vertreibung. Wie schwierig sich in den letzten Jahren das deutsch-polnischen Verhältnis gestaltete, verdeutliche der Historiker aus Tczew daran, dass zu den bekanntesten Deutschen in Polen, die Bundeskanzlerin Merkel, Papst Benedikt und die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen gehören. Von der Politik des Bundes der Vertriebenen fühlte sich keiner der Anwesenden vertreten, egal wieviel Leid persönlich erfahren worden war. Aber es wurde in der Diskussion auch darauf hingewiesen, dass sich in den letzten Jahren in der Bundespolitik zu wenige Persönlichkeiten qualifiziert und engagiert für ein besseres deutsch-polnisches Verhältnis einsetzten. Dass der Gedankenaustausch und die Diskussion auch schwieriger Themen möglich ist, zeigte sich bei diesem deutsch-polnischen Abend im Rahmen der Städtepartnerschaft.
Da es in der Diskussion auch Interesse an der Situation der Flüchtlinge in Witten gegeben hat, möchte der Freundschaftsverein Tczew - Witten am Samstag, den 21. Juni noch einmal die geführte Fahrradtour durch Witten „Auf den Spuren der Einwanderung aus Polen - Ruhrpolen - Zwangsarbeiter - Vertriebene“ anbieten. Weitere Termine für Schulklassen sind auf Vereinbarung hin möglich. Interessenten wenden sich bitte an Peter Liedtke, Tel.: 0172/ 4909369.