Freundschaftsverein Tczew-Witten e.V.



VI. Internationale Festival des Fantastischen Theaters
der SOSW in Tczew

vom 1. Juni bis 6. Juni 2008


   

Westdeutsche Allgemeine Zeitung - Witten


Unvergessliche Reise

Pestalozzi- und Kämpenschule fuhren zum Theaterfestival ins polnische Tczew

"Das kann man gar nicht mehr vergessen", sagte Pestalozzischüler Filippos über die Fahrt ins polnische Tczew. 17 Schüler der Pestalozzi- und Kämpenschule waren Anfang Juni zum Theaterfestival nach Tczew gefahren.
Bei der fünftägigen Reise ging es für die Zwölf- bis 17-Jährigen nicht nur um das Theaterfestival, sondern auch darum, andere Kulturen kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen. "Wir haben erst mal gemerkt, dass die anderes Geld haben", sagte Maria Klegrewe, Lehrerin an der Pestalozzischule, über den ersten Kulturschock. Zusammen mit 330 Schülern aus Polen, Spanien, Portugal und Weißrussland wohnten die Wittener in einem Hotel etwas außerhalb von Tczew. "Das war einfach perfekt", fand Filippos.

"Ich dachte, mein Herz springt raus"

Außerhalb des Theaterfestivals hatten die Schüler der verschiedenen Nationen Spaß bei gemeinsamen Bootsfahrten, Grillabenden und unterschiedlichen Workshops. Dabei redeten sie ein Sprachengemisch aus deutsch, englisch und polnisch. Zur Not verständigten sie sich mit Händen und Füßen.
Bei dem Theaterfestival öffnete sich dann der Vorhang für die Schüler der Förderschulen. Zum ersten Mal traten die Schüler vor einem großen Publikum in einem fremden Land auf. Das Lampenfieber war vorprogrammiert: "Ich dachte, mein Herz springt raus", sagte Filippos. Sein Schulkollege Andreas: "Ich hatte Angst zu stolpern und hinzufallen." Am Ende hat alles geklappt. Es gab viel Applaus und jeder Schüler bekam eine Medaille als Andenken.
Nach den gemeinsamen Tagen in Tczew war der Abschiedsschmerz groß. Filippos: "Die Mädchen und das Tanzen haben mir in Polen am besten gefallen. Da will ich noch mal hin." imw
Westdeutsche
Allgemeine Zeitung. Witten. 25. 6. 2008


   




Städtepartnerschaft und Schule

Ein Rückblick auf Projekt Tanz-Wege der Pestalozzischule Witten
in Kooperation mit der Wittener Werk°Stadt und dem Freundschaftsverein.
Ein Jahresprojekt im Rahmen der Städtepartnerschaft Witten und Tczew


Pestalozzischule Witten – Tanz-Wege 2007 - 2008

Gespräch mit Frau Cornelia Freund, Frau Marlies Klegrewe und Herrn Rainer Stürmer am 13. Juni 2008

Im Januar 2003 kam es zu einem ersten Kontakt zwischen der Tczewer Spezialschule (SOSW) und der Pestalozzischule Witten. Der Direktor der SOSW in Tczew besuchte damals Wittener Schulen, um sich über die Arbeit der Sonderpädagogik in Deutschland zu informieren und für eine Zusammenarbeit der Schulen zu werben.

Wie stellten sich die Kontakte mit Tczew aus Sicht der Lehrer und Schüler dar?

Herr Stürmer: Am 8. April 2005 kam es zu einem ersten Kontakt mit Tczew, als eine Gruppe ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter unsere Schule besuchte. Wir hatten damals, um den Gästen etwas zu bieten, als Rahmenprogramm Tänze gezeigt, Rumba, Cha-Cha-Cha und Gruppentänze. Einer der Herren aus Tczew sagte darauf sehr bewegt: "Dass ihr hier so etwas an den Schulen macht. Wir werden euch mal einladen nach Tczew." Und alle dachten, ja das sagt man so. Und es vergingen Monat um Monat und nach über einem Jahr kam die Einladung zu dem Festival in Tczew. Diese Fahrt kam aber aus finanziellen Gründen leider nicht zustande. Ich werde diesen einen Satz einer Schülerin nie vergessen, als dieses Mädchen im Rahmen des Besuchsprogramms mit den ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern einen der Herren fragte: "Darf ich Sie was fragen? Haben Sie jetzt Hass auf mich, weil ich Deutsche bin?" Der polnische Gast nahm daraufhin das Mädchen in den Arm und sagte: "Weißt Du, darum sind wir hier, damit so etwas nie wieder passiert. Ich habe keinen Hass auf Dich. Ich freue mich, dass ihr hier für uns tanzt." So haben sich aus unserer Sicht das Projekt Tanzen und die Kontakte mit Tczew entwickelt.

Frau Freund: Ich wurde Anfang des Schuljahres gefragt, ob ich bereit wäre, dieses Projekt sozialpädagogisch zu begleiten. Wir haben das Projekt mit 24 Schülerinnen und Schülern begonnen. Nach einer ersten Kennenlernphase sind jedoch nur noch 14 Schüler regelmäßig zu den Trainingsstunden gekommen.  Zum Schluss sind 9 Schülerinnen und Schüler mit nach Tczew gefahren. Die wichtigsten Ziele waren, bei den Schülern mehr Frustrationstoleranz und Kooperationsbereitschaft zu entwickeln. Die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und das Selbstbewusstsein wurden gestärkt. Sie lernten sich darzustellen und das, was man gelernt hat, nach außen zu vertreten. Diese erste Hälfte des Projektes hieß "Tanz-Wege" und wurde in der Wittener Werk-Stadt vom Weltmeister im Hipp-Hopp, Mark Gerowski und dem Tanzlehrer und Choreographen Lenon Peachlum betreut und endete mit der Aufführung im Dezember. Das Projekt leitete ich zusammen mit meiner Kollegin Frau Klegrewe. Unterstützt wurden wir auch durch Herr Stürmer mit seiner Tanz-AG. 

Frau Klegrewe: Unsere Schule bietet den Kindern einen  sicheren Rahmen. Sie fühlen sich in unserer Schule wohl.  Hier fühlen sie sich in der Schulgemeinschaft angenommen. Das Projekt hat versucht, die Schüler nach draußen zu locken, in die Wittener Werkstadt, die nicht zu ihrem Lebensalltag gehört.
Zur Aufführung gingen alle Schüler und Lehrer in die Wittener Werk-Stadt, um ihre „Tänzer“ zu sehen. Für die Tänzer war es DAS Erlebnis. Es war für sie wie ein Heimspiel im Fußball. Unsere Schule erlebte sich als große Gemeinschaft – außerhalb ihres gewöhnlichen Schulraumes.

Herr Stürmer: Ein Ziel konstant zu verfolgen, ist eines der größten Probleme unserer Kinder. Zielgerichtet auf eine Sache hin konstant dabei zu bleiben, das ist manchmal wesentlich schwieriger, als im Lernen Fortschritte zu machen. Darum haben so viele frühzeitig aufgegeben. Das war weder, dass ihnen die Sache nicht gefiel oder dass andere besser sind als sie, sondern immer bei der Sache zu bleiben ist das Problem. Und deswegen war es so toll, dass das durchgezogen wurde.

Frau Klegrewe: Die Begegnung in Tczew, die Erfahrung, dass in dem Land eine andere Sprache gesprochen wird, dass sie in Tczew in einem Theater gesessen haben, wo nur polnisch gesprochen wird und sie gar nichts verstehen, das war ein starker Eindruck für sie. Sie haben gefühlt, dass sie aus einem anderen Land kommen.
Die Erinnerung an das Festival war intensiv, weil sie dort beeindruckende und fremdartige Eindrücke gesehen haben. Selbst das Jugendhotel ließ manche sagen, das ist ja hier wie Urlaub. Dass sie dort zu Zweit ein Zimmer gehabt haben, war eine positive Überraschung. Das Wetter, der blaue Himmel, der blaue See, diese weißen Segelboote, der Wald, das war für unsere Kinder aus Witten erstmal der Eindruck, das ist Klasse hier.

Herr Stürmer: Wenn ich als einer, der nicht mitgefahren ist, noch ergänzen darf, was die, die mit waren am häufigsten erzählt haben: "Herr Stürmer, bei so vielen hundert Menschen vorne auf der Bühne zu stehen, das war ein Gefühl, ich hab' gedacht, mir fliegt die Hose weg!"

Frau Freund: Ja, die Erfahrung war für die Schüler zunächst  neu. Sie stellten fest, dass  es doch etwas ganz anderes war auf einer fremden Bühne, in einer fremden Stadt und vor fremdem Publikum aufzutreten. Die Aufregung machte sich auch in der Qualität der Vorführung bemerkbar. Nicht alles klappte.  Die Kinder merkten dies auch selbst  und waren mit ihrer Leistung gar nicht zufrieden.  Aber es wurde ihnen auch gesagt, dass sie sehr viel mehr können. Und das wissen sie jetzt und diese Erfahrung finde ich ganz, ganz wichtig.

Frau Klegrewe: Unsere Jugendlichen konnten sich vorher  gar nicht vorstellen, was in Tczew auf sie zukommen sollte. Das ist für sie erst in Tczew konkret geworden. Es war eine gute Erfahrung, dass sie trotz ihres unsicheren Auftritts frenetisch beklatscht und gefeiert wurde. Unsere Tänzer kamen aus unterschiedlichen Lerngruppen und wuchsen durch das Tanzprojekt und durch die Teilnahme am Theaterfestival  als Gruppe zusammen.
Die Inszenierungen der anderen Förderschulen waren sehr gut und für mich erstaunlich. Es waren darunter kunstvolle, schon professionelle Auftritte. Hut ab! Auch für die Schüler war die Rolle des Zuschauers genauso wichtig wie die des Akteurs. Sie erkannten die Leistung der anderen Gruppen an. 

Herr Stürmer: Zu den Erfahrungen der Gruppe haben mir die Jugendlichen auch gesagt, dass das, was die Jugendlichen an Tänzen in der Tanz-AG lernen, leicht ist verglichen mit dem, was bei dem Tanzprojekt jetzt verlangt wurde. So hörte ich mehrfach: "Herr Stürmer, ich behalte das im Anfang gar nicht, das ist weitaus schwieriger".

Frau Freund: Nach den Aufführungen meinte ein Jurymitglied zu mir, dass die Choreographie sehr schwierig gewesen sei. Mit mehr  Routine könnten unsere Schüler aber durchaus die Tänze gut präsentieren.

Frau Klegrewe: Das Festival war beeindruckend gut organisiert. Wenn ich mir allein überlege, was es heißt 330 Kinder zu beköstigen. Der Tagesablauf war durchgeplant. Bei den Vorstellungen des Festivals gab es eine gute Aufführung nach der anderen. Ich bin normalerweise schon nach einem guten Film ausgefüllt. Die Organisation war wirklich beeindruckend.
Unsere Wittener Gruppe war ein sehr bunter Haufen, der bei dem Festival auffiel. Unsere vier jungen Männer brachten Bewegung in das gesamte Festival, wenn sie auftraten wurde geklatscht und Autogramme verlangt. 
Bei den Einkäufen z. B. in Gdansk ist mir aufgefallen, wie sich unsere Jugendlichen von den Kindern aus anderen Ländern unterscheiden. Auch wenn unsere Kinder nur für 2 oder 3 Euro ein T-Shirt gekauft haben, so kamen sie doch stolz mit einer Marken-Einkaufstasche wieder. Auch habe ich nur bei unseren Jugendlichen gesehen, dass alle ein Handy hatten.

Frau Freund: Der Umgang mit den Tanzlehrern, besonders auch mit Lenon Peachlum, der auch selber nur englisch sprach, war eine wichtige Erfahrung für unsere Jugendlichen. Mit die besten Übungsstunden waren die, bei denen er sofort die Musik anmachte, Zeichen gab und anfing, ohne viel Erklärungen. Und alle tanzten dann auch sofort mit. 

Frau Klegrewe: Der Tanzlehrer hatte  eine wichtige Funktion, er war ein Vorbild, den die Jugendlichen auch bewunderten. Einer der Schüler sagte: "Ihr seid wie Eltern für uns!" Manchmal haben wir gesagt, dass das Tanzprojekt vielleicht eine Überforderung für die Jugendlichen ist. Aber jetzt wissen sie konkret, was Tczew ist und sie wollen da auch wieder hin. Sie haben da gelernt, mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen, gemeinsam zu lachen, zu essen, zu tanzen. Und sie wären auch bereit, so ein Projekt noch mal zu machen.

Frau Freund: Ich finde solch ein Projekt sehr wichtig. Ich habe festgestellt, dass viele Schüler nicht die Gelegenheit  haben einmal privat eine Reise zu unternehmen.  Wenn diese Schüler nicht mit auf Klassenfahrt fahren, dann kommen sie teilweise überhaupt nie aus Witten raus. Manche Schüler kennen teilweise auch den Kemnader Stausee nicht.

Frau Klegrewe: Was mir dann noch einfällt: Drei Schüler stammen aus Polen. Sie lebten in Tczew auf, weil sie jetzt diejenigen waren, die die fremde Sprache verstehen konnten und für uns als Dolmetscher agierten. In unserer Schulwelt  grenzen sich viele schnell gegen Fremdes ab. In Tczew saßen unsere Jugendlichen im Theater und meckerten, weil sie nichts verstanden. Es war eine gute Erfahrung, mal die andere Perspektive wahrzunehmen. 

Herr Stürmer: Ja, da ist eine Schülerin, die immer zu den Schüchternsten an der Schule gehört. Sie ist bei dieser Reise wirklich gewachsen.

Frau Klegrewe: Eine andere Sache hat sich auch positiv aufgelöst. Unsere Schüler wollten nichts mit schwerbehinderten Kindern zu tun haben und wollten zuerst auch nicht für die klatschen. Aber dann waren sie doch so beeindruckt von den Vorführungen und davon, wie verschiedenartig behinderte Jugendliche in den Theaterstücken ausdrucksvolle Rollen spielten. Gehörlose Jugendliche inszenierten z. B. ein großartiges Tanztheater.  Abgrenzungen  wurden abgebaut. Die Zeit in Tczew bedeutete Verständigung und Begegnung. Es war sehr stark beeindruckend, für die Kinder, aber auch für mich.

Frau Freund: Es gab aber auch Dinge, an denen uns deutlich wurde, dass es doch auch kulturelle Unterschiede gab, mit denen wir uns dann auch auseinandersetzen mussten. Das war z. B. die Art und Weise, wie Militär in einigen Stücken dargestellt wurde, aber auch das Problem bei der Verpflegung, schweinefleischfreies Essen für einen unserer Schüler bekommen zu können.

Frau Klegrewe: Aber das Projekt und die Fahrt waren ein Erlebnis für die Schüler und für uns Erwachsenen. Es war richtig gut. Ich habe da in Tczew im Theater gesessen und gedacht, haben wir ein Glück, dass wir dabei sein können und das erleben dürfen. Eine städtische Förderschule, die sonst immer am Rande steht und oft übersehen wird. Und dass der Freundschaftsverein Tczew - Witten uns gesehen hat und uns dabei unterstützt hat, war klasse.

Herr Stürmer: Dass wir von außen irgendwelche Unterstützung für unserer Kinder erfahren, hat sich leider erst in den letzten Jahren entwickelt.





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