»Wir würden auf jeden Fall wieder fahren!«
Die Pestalozzischule Witten liegt am Rand der Wittener Innenstadt in einer kleinen Seitenstraße. Sie bildet mit ihrem Schulgelände und der aufgelockerten Architektur, die ein wenig an ein kleines Dorf erinnert, und zwischen den ansteigenden Höhen des Helenberges und der Hauptverkehrsstraße, der Husemannstraße, gelegen ist, an eine Insel der Pädagogik. Die Förderung der Schülerinnen und Schüler im Sinne einer ganzheitlichen Erziehung, die die geistige Entwicklung zusammen mit den sozialen und praktischen Fähigkeiten fördert, ist hier eine Selbstverständlichkeit. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Pestalozzischule von Anfang an die Theatertreffen in Tczew mit Interesse begleitet hat.
Im Laufe dieses Jahres hat die Klasse 7 mit ihrer Klassenlehrerin Frau Küper ein vom "Landesprogramm Kultur und Schule" gefördertes Tanzprojekt durchgeführt, das von der Bochumer Theaterpädagogin Anja Feldmann geleitet wurde. Der Titel der dabei erarbeiteten Aufführung lautet »Fighter for Feelings«.
Dieser Titel passt gut zu dem Anspruch der Theaterpädagogik, Körper, Bewegung, Gefühl und soziale Verbundenheit zusammenzudenken und zu gestalten. Er passt aber auch zu den Stürmen an Emotionen, die die Jugendlichen in ihrer Entwicklung von der Kindheit zu jungen Erwachsenen derzeit erleben: fremde, neue und verwirrende Eindrücke, die ausgehalten und verstanden werden wollen.
anja feldmann • tänzerin / regisseurin / tanz- und bewegungstherapeutin
www.leibeigen.com
Die Reise nach Tczew bot hierzu viele gute Gelegenheiten. So tauchte gleich zu Anfang in Polen die entnervte Frage auf: "Warum sprechen die denn hier kein Deutsch?" Na, logisch, weil das da Polen war und die Menschen dort Polnisch sprechen. Und die Verständigung war ja trotzdem auch möglich. Wofür hat der Mensch denn schließlich Hände und Füße und aus der Schule Kenntnisse der englischen Sprache mitgebracht?! Sehr deutlich beschrieben die Jugendlichen, dass es nicht die Wörter sind, die eine Verständigung und ein Miteinander ermöglichten, sondern ein gemeinsames Interesse aneinander und die gemeinsamen guten Erfahrungen bei der Freizeitgestaltung, die zum Besuchsprogramm mit dazugehörte.
Die Teilnehmer des Festivals waren Schülerinnen und Schüler von verschiedenen Förderschulen aus mehreren europäischen Ländern. Da waren Menschen, die sie kennenlernten, die so ganz anders waren, in ihrem Aussehen, in ihrem Verhalten, in ihrem offensichtlichen körperlichen Anderssein. Das war von den SchülerInnen zum Teil als schockierend empfunden worden. Aber im Umgang miteinander konnten sie beobachten, wie sich ihre Empfindungen veränderten und andere Eindrücke ein größeres Gewicht gewannen. Dazu gehörte auch, dass die Leistung der Anderen bei den Aufführungen des Theaterfestivals von den Schülerinnen und Schülern der Pestalozzischule selber als teilweise besser als die eigenen eingeschätzt wurde.
Das Stück der Pestalozzischule handelte von den Gefühlen Liebe, Wut, Trauer und dem Lächeln, was im zweiten Teil der Aufführung an einem in verschiedenen Varianten vorgestelltem Versuch »Freunde zu werden« durchgespielt wurde. Irgendwie hatten die Schüler damit in ihrem Tanzprojekt schon die Themen behandelt, die sie dann in Tczew selber durchlebten. Da war dieser fremde Junge, den sie zu Anfang so komisch und nervig fanden und den sie am liebsten germieden hätten. Und dann waren da die gemeinsamen Erfahrungen, die alle 340 Jugendlichen in dem Hotel verbanden. Die traditionelle kaschubische Musikgruppe, die 'Opis', wie sie despektierlich genannt wurden, waren nicht so ganz nach dem Geschmack der Jugend. Aber dann gab es auch noch die Disko und ein Konzert von Joko Farba, einer polnischen Popsängerin mit Band, die ganz anders Stimmung machte. Bei ihr durften die Jugendlichen sogar während des Konzerts mit auf die Bühne, und am Ende rockte der ganze Saal. So hat sich dann im Laufe der Ereignisse aber auch das Verhältnis zu den gestern noch fremden und irritierend Anderen verändert. Am Ende der Woche wollten einige sogar den "fremden Jungen" gar nicht missen und schieden unter Tränen.
Dank gebührt dem Organisator der Theaterfestivals, dem Direktor der »Specjalny O?rodek Szkolno Wychowawczy SOSW« in Tczew, Herrn Wojciech Rinc, der nun schon seit zwölf Jahren große internationale Jugendbegegnungswochen in Tczew organisiert und vielen Jugendlichen und Betreuern unvergessliche Momente ermöglicht hat. Während der "Mann im Hintergrund" von den Gästen gar nicht wahrgenommen wurde, machten die, die mit den Jugendlichen Arbeitsgruppen und Workshops durchführten, großen Eindruck. Da war dieser junge Sportlehrer, "voll die Kante", oder der freundliche Leszek, der gut Deutsch sprach und mit den Gästen eine Pyramide baute. Eine Pyramide aus Menschen, wie sie sonst im Zirkus zu bestaunen ist und die vier Etagen Höhe erreichte. Gut, dass nicht alle Eltern das gesehen haben, denn leider haben auch nicht alle Eltern ihren Kindern die Erlaubnis gegeben, mit nach Polen zu reisen. Das, was den Jugendlichen dort wirklich passierte, war aber tatsächlich etwas, wovor man die Kinder nicht auf Dauer bewahren kann, ein Stück Erfahrung mit dem Leben, das nicht bis ins Detail vorherbestimmt ist, dass aber gestaltet werden kann. Eine Erfahrungen, die man den jungen Menschen, die so realistisch und hoffnungsvoll auf das Leben schauen, nicht oft genug wünschen kann.
Gibt es etwas, was bleibt, was die Beteiligten mitnehmen auf ihrem weiteren Weg? Man weiß es nicht. Aber war da nicht vor dem Auftritt noch die Angst davor gewesen, zu versagen, etwas nicht zu schaffen? Und jetzt spricht großes Selbstvertrauen aus den Jugendlichen, die den Schülerinnen und Schülern anderer Schulen in Witten empfehlen, auch nach Tczew zu fahren. Und sie, die ja schon dagewesen sind, könnten ihnen dann alles zeigen. Und interessant ist der Gedanke der Jugendlichen, dass sie bisher, wenn sie auf der Straße Menschen getroffen haben, die kein Deutsch sprachen, immer gedacht hatten, "wie krank sind die denn, dass die kein Deutsch können?" Aber sie selber waren es, die kein Polnisch sprechen konnten. Das hat ihnen zu denken gegeben und ihnen ermöglicht, vorsichtiger in ihrem Urteil zu sein Ein paar kleine Brocken der fremden Sprache, was man so braucht, Danke, Guten Tag und Bitte, haben sie sich aus Polen mitgebracht. Ein großer Gewinn ist aber wohl die Erkenntnis, die Welt einmal mit den Augen der Anderen gesehen zu haben und das Anderssein verstanden zu haben.