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Bismarck-Turm im Kreis Tczew
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Es gab dann eine Zeit in den teutschen Landen, in der die Bürger dankbar und glücklich waren, dass ihnen 1871 die Einheit Deutschlands, von der sie lange geträumt hatten, für die sie erfolglos gestritten hatten, letztendlich geschenkt worden war. In ihrer Dankbarkeit befiel sie ein Drang, Heringe zu taufen und Türme, die den Namen des ersten deutschen Reichskanzlers trugen, zu errichten.
‚Kein teutsches Land ohne Teutschen Turm‘ schien die Parole gewesen zu sein. Und so fanden sich die Türme zu Ehren Bismarcks in Kamerun, Tansania, Papua-Neuguinea, Polen, – alles keine deutschen Länder, aber Spuren der deutschen kolonialen Vergangeheit...
Bismarck sah die überseeischen Schutzgebiete, wie die Kolonien bezeichnet wurden, mit weit weniger nationalem Pathos, als die nach nationaler Größe und Geltung strebenden deutschen Bürger, die sich von der Geschichte benachteiligt fühlten und ihren Mangel an politischer Selbstständigkeit durch ein Mehr an nationalem Getöse auszugleichen suchten.
Der polnische Staat hatte mit den Polnischen Teilungen ab 1772 aufgehört zu existieren. Zur Zeit der Errichtung der Bismarcktürme im heutigen Polen existierte der polnische Staat nicht. – Welche Vorstellungen hatten die deutschen und polnischen Menschen damals von einem Zusammenleben und ihrer Zukunft? Für den Bereich Preußens waren beide Nationalitäten Untertan des preußischen Königs. Welche Motive trieben die Preußen in der Zeit Bismarcks zu ihrer antipolnischen Politik? Wo gibt es eindeutige Unterschiede und wo fließende Übergämge im Denken der national erwachten Preußen des 19. Jahrhunderts und des Rassismus der Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert? Eine gemeinsame Betrachtung dieser Fragen der deutsch-polnischen Geschichte, könnte zu einer tatsächlichen Verständigung zwischen Deutschen und Polen führen. Die Auseinandersetzung damit zeigt, dass diese Fragen bis hin zu der Gestaltung des Zusammenlebens im heutigen Europa von Interesse sein können.
Im Kreis Tczew läßt sich die Politik der Schaffung rein deutscher Siedlungsräume durch den gezielten Aufkauf polnischer Ländereien anhand der historischen Quellen nachvollziehen. Es gab die Bestrebungen möglichst viel Land in "deutschen" Besitz zu bekommen. Zu diesen Bestrebungen hatte sich der von Bismarck, Otto Eduard Leopold (1815–1898), positiv geäußert und eine aktive Germanisierungspolitik in seiner Regierungszeit betrieben. Germanisiert wurde aber auch nach seiner Abdankung noch und wenn wir uns heute die Äußerungen der Funktionäre der deutschen Vertriebenenverbände ansehen, so stellt sich die Frage, welche Kontinuitäten dort zum Ausdruck kommen.
Es ist wohl im Jahr 1914 gewesen, als auch im Kreis Tczew ein Turm errichtet wurde, dessen Funktion nur in dem berauschenden Gefühl nationaler Erhabenheit bestanden haben dürfte. Für den Fürsten von Bismarck persönlich kam dieser Turm deutlich zu spät. Und zu Lebzeiten hätte er auch wahrscheinlich kaum hineingepaßt. Hätte er es jedoch geschafft, den Eingsng zu bezwingen, so wäre er kaum wieder hinausgekommen, nicht ohne den Säbel abzulegen, mit dem er sich meist ablichten ließ.
So ist die Funktion des Turms tatsächlich bis heute etwas rätselhaft. Der auf damals privatem Grund errichtete Turm ist leidlich gut erhalten. Seine Grundfläche scheint nicht mehr als einer Person Platz bieten zu können, seine Öffnungen sind recht schmal ausgelegt. – Sicher ist, ein blondes Frauenhaar würde durch Tür und Fenster passen. Und so ist es nicht auszuschließen, dass es sich vielleicht ja auch um einen ganz anderen Turm handelt, über den eine viel ältere Legende erzählt und an dessen mögliche Bewohnerin bis heute noch in Polen erinnert wird, wie das nebenstehede Bild deutlich macht.
So heißt es doch in einer kurzen Inhaltsangabe des alten Märchens: Rapunzels Mutter gelang es nicht, ihren Heißhunger und Appetit auf die im Garten der Nachbarin wachsenden Rapunzeln zu zügeln, und ihr Vater ist nicht stark genug, sich ihr zu widersetzen.
Wie ist diese Geschichte zu verstehen? Wer ist wer? Und um wessen Appetit geht es?
Läßt sich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der deutsch-polnischen Geschichte wirklich bei Tee und Kanapka betreiben oder sollte es doch besser ein polnisches Bier sein? – ...
Tczew, den 1. April 2015
Wir danken »Dawny Tczew« für die freundliche Unterstützung und Information