Geboren und aufgewachsen ist der Referent des Abends in Syrien, dem Land, das seit den 1970er Jahren von der Familie al-Assad beherrscht wird und in dem seit dem Frühjahr 2011 ein blutiger Bürgerkrieg herrscht. Er hat das Land verlassen, weil er für sich dort keine Zukunft mehr sieht und sich weder für noch gegen das Regime an einem Krieg beteiligen möchte, der nur einen Wechsel des Systems der Unterdrückung bringen kann, aber keinen gesellschaftlichen Frieden und keine Demokratie.
In Deutschland angekommen, hoffte er darauf schnell Deutsch lernen zu können, eine Ausbildung zu machen um arbeiten zu können und in der deutschen Gesellschaft anzukommen. Was er jedoch in seinem Integrationskurs gelernt hat, war das saubere Trennen des deutschen Mülls, deutsche Flaggen zu erkennen und Landeshauptstädte zu benennen. Nichts hat er in seinem Integrationskurs gelernt, was ihm helfen könnte, selbstständig zu einem Verständnis der deutschen Gesellschaft und ihrer demokratischen Ordnung zu kommen. Warum gibt es Freiheit in Deutschland? Warum wird nicht gefoltert? Es wurde nur auswendig gelernt, wie bei einer Führerscheinprüfung, rechts vor links. Aber wer steht rechts und wer links? Wer akzeptiert die staatliche Ordnung und warum? Wer träumt davon, eine andere Ordnung zu errichten und warum? Tatsächlich sind ihm seit seiner Ankunft in Deutschland viele Menschen begegnet, die hier die autoritäre Ordnung ihrer Heimatländer neu errichten möchten, nur eben mit einem anderen Herrscher an der Spitze, als dem, vor dem sie geflohen sind. In der deutschen Mehrheitsgesellschaft erkennt er eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber den grundlegenden Werten des demokratischen, rechtsstaatlichen Systems. Werden die Grundlagen der freien Gesellschaft in den Integrationskursen vermittelt? Steht die Religion über dem liberalen Rechtsstaat? Was hält die Gesellschaft zusammen?