Zwiastun Ewangelicki                                                 Nr. 13-14              7. 7. 2002


Den Katholiken einen Altar,
den Evangelischen eine Kanzel

- Lutheraner in Tczew und in Kociewie

Kociewie ist der an die Kaschubei grenzende Teil von Weichselpommern, welcher den Kreis Tczew, Starogard und teilweise angrenzende Gebiete umfasst.
Das Korn der Reformation fand im 14. Jahrhundert hier im Königlichen Preußen (nach dem Frieden von Torn 1466 polnisches Gebiet bis zu den polnischen Teilungen, später weitgehend Westpreußen) so wie in den anderen Gebieten in Preußen fruchtbaren Boden. In den Städten entstanden protestantische Kirchengemeinden: in Tczew, Starogard Gdanski, Gniew, Skarszewy aber auch auf dem Land, vor allem im Dorf Rudno, das nicht weit von der Zisterzienser Abtei in Pelplin entfernt ist.
Wenn auch der Anfang vielversprechend war und die Protestanten die Kirchen  auf eine ganz natürliche Weise übernahmen, so verloren sie später die Kirchen in der Gegenreformationszeit am Ende des 16. Jahrhunderts und mussten sich  für 200 Jahre in provisorische Gebäude, oft in ehemalige Speicher, zurückziehen. Im Gegensatz zu anderen kleinen Ortschaften im Königlichen Preußen wurden die hiesigen Protestanten nicht verfolgt, so wie in Brodnica, Grudziadza, Nowe Miasto Lubawskie, wo die Schikanen extrem hart waren. Sie wurden aber wirtschaftlich ausgebeutet und eine Propaganda wurde gegen sie gerichtet. Einen Grund dafür war zweifellos das nicht weit entfernt Gdansk – die Hauptstadt des polnischen Protestantismus. Sogar ideologische Gegner mussten auf ihre wirtschaftliche Bedeutung Rücksicht nehmen.

Von Sambor bis Wladyslaw IV

Ähnlich waren auch die Verhältnisse in Tczew. Diese alte Stadt an der Kreuzung der Handelswege, das Tor zu Gdansk, heute ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, der für die langen Brücken, das Weichselmuseum und die gothischen Kirchen bekannt ist, wurde 1260 gegründet und vor allem  von einer Bevölkerung deutscher Herkunft bewohnt. Diese Tatsache  unterstützte die Idee der Reformation. Seit dem 16. Jahrhundert gab es zunehmend Austritte aus der katholischen  und Eintritte in die evangelische Gemeinde. Ein Zeichen hierfür war der gemeinsame Gebrauch der Pfarrkirche, wo bildlich gesagt, der Altar den Katholiken für den Gottesdienst und die Kanzel den Evangelischen für die Predigt diente. Der hiesige Dominikanerorden wurde für einige Jahrzehnte aufgelöst. Im Jahre 1567 gehörte den Lutheranen sowohl die Pfarrkirche, als auch eine Kirche außerhalb der Stadtmauer. Die Krönung des Vorgangs war das Privileg der Freiheit, das der polnische König Zygmund August 1570 den Protestanten verlieh, welches als das offizielle Gründungsdatum der Gemeinde anerkannt ist. Der König verlieh den Protestanten die kleinere der beiden Kirchen. Sie durften aber bis1596 ohne Hindernisse auch die Pfarrkirche betreten. In der Zeit der schwedischen Okkupation in den Jahren 1626-1629 kamen sie in die Pfarkirche zurück, denn die kleine Kirche außerhalb der Stadtmauer wurde aus militärischen Gründen abgetragen. Später fand der Gottesdienst in einem Raum des Rathauses statt. Danach stellte der König Wladyslaw IV einen alten aus den Kreuzritterzeiten stammenden Speicher, den so genannten Johanniterspeicher zur Verfügung. (Der Name kommt von dem Ritterorden, der bis 1370 in der Nähe einen großen Besitz hatte.) Das Gebäude wurde umgebaut. Es war ein Fachwerk mit einem schmalen Turm, der in den schwedischen Kriegen zerstört worden war. Das Haus hieß St. Georgen Kirche und diente der evangelischen Gemeinde noch sehr lange. Der Umbau war dank der Hilfe der großen Städte Gdansk, Elblag und Torun möglich. Bei der Gemeinde war eine Schule. Die evangelische Gemeinde hatte auch einen eigenen Friedhof, auf dem viele berühmte Tczewer Bürger ruhen.

In den sächsischen Zeiten

Die Situation der Protestanten wurde immer schlechter. 1739 mussten sie dem römisch-katholischen Priester eine hohe Gebühr bezahlen, um ihre Gottesdienst halten zu dürfen. Der Aufbau der Kirche nach einem großen Gewitter war auch nicht ohne Hindernisse verlaufen. Im 19. Jahrhundert verschlechterte sich der technische Zustand des Gebäudes. 1853 wurde mit den Spenden der Gemeindemitglieder und einem Zuschuss von König Friedrich Wilhelm IV, die gothische, ehemalige Dominikaner Kirche gekauft. Der Dominikaner Orden war während der preußischen Herrschaft 1818 aufgelöst worden. Die heute St. Stanislaw Kosta genannte römisch-katholische Kirche, war schon die dritte St. Georgen Kirche in Tczew.

Der erste bekannte Geistliche war in den siebziger Jahren des16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1605 Dionizy Runau. Er hat die Geschichte des 13-jährigen Kriegs beschrieben. Man muss auch den Schlesier Jan Müller (1639-1652) erwähnen, der Theologe und Teilnehmer des Thorner Colloqiums Charitativum war. Jan Henryk Schneider war Pastor in den Jahren 1721-1740 und Verfasser der Stadtchronik.

Die Polnische Gemeinde

Nach der Wiedergewinnung der nationalen Unabhängigkeit Polens im Jahre 1920 gab es in Tczew einen großen demographischen Wandel, der die Auswanderung der Deutschen und das Einwandern von Polen betraf. Die Stadt wurde bald ein Hinterland des Hafens in Gdynia. Unter den Ankömmlingen waren auch Evangelische aus dem Süden und Zentralpolens. Weil die hiesige Kirche keine Seelsorger hatte, die Polnisch sprachen, schrieben die polnischen Gemeindemitglieder mit der Bitte an den Bishof Juliusz Bursche nach Warschau, die Gemeinde für Polen zu organisieren. Am 13. Januar 1930 fand die erste organisatorische Versammlung unter der Führung Pastor Kahane aus Bydgoszcz statt, auf der das kirchliche Kollegium gewählt wurde. Ing. Henryk Kliem wurde Vorsitzender, Ing. J. Wasinski  wurde Vize-Vorsitzender, Aleksandra Kliemowa, Sekretärin und Direktor Abt war Küster. Am 9. Februar um 12.00 Uhr, zum ersten Jahrestag der Vermählung Polens mit dem Meer, fand der erste lutheranische Gottesdienst statt. Der Innenraum der Kirche wurde mit Blumen und Büschen dekoriert. Am Gottesdienst nahmen Vertreter des Woiwoden aus Thorn, der Tczewer Landrat und Gäste aus Gdan´sk teil. Danach gab es eine Versammlung im Raum des Landkreisamtes.

Die Entwicklung des Pfarrlebens

Bis 1939 fand der Gottesdienst dank der Herzlichkeit des Superintendent Pastor Berthold Harhausen in der Unionkirche St. Georgen statt. Dort gab es vormittags, zuerst einmal, dann zweimal im Monat mit Ausnahme der Sommerferien eine Messe. Im Winter versammelten sich die Mitglieder der Gemeinde in der großen Sakristei, wo Porträts der hiesigen Seelsorger hingen. Prof. Simon spielte Orgel. Bald bekam man eigene Kommunionsgefäße: einen handgemachten Kelch, von Ing. Adolf Dolis und eine von der Herrschaft Kliem geschenkte Patene. Man begann Religionsunterricht für 10 Kinder und Jugendliche zu geben (seit 1937 jede Woche im Jungen-Gymnasium). Ab und zu wurden Versammlungen der Mitglieder der Gemeinde im Saal St. Georg organisiert. Für kurze Zeit kamen auch polnische Evangelische mit Ing. Adolf Martens aus Gdynia nach Tczew, die ihre eigene Gemeinde erst im nächsten Jahr organisierten. 1932 wurde Pastor Michelis aus Gdynia Verwalter, 1933 dann Ryszard Danielczyk aus Grudziadz, 1935 wurde wieder Pastor Michelis Verwalter.

Es gibt wenig über große Ereignisse in einer so einer kleinen Gemeinde zu berichten. Das erste Ereignis, das die kirchliche Presse erwähnt, war das Begräbnis des Notars Dr. Edmund Lukanowski (1877-18.02.1934). Nach dem Abitur in Poznan studierte er in Berlin und Wroclaw, war Rechtsanwalt in Sroda, Berlin und Ostrów Wielkopolski, Militärrichter in Poznan, Lódz, Torun und Katowice. In Tczew schaffte er nur einen Monat zu verbringen aber an seinem Begräbnis nahmen der Landrat, Bürgermeister und Vertreter des Militärs und der Polizei teil. Im Laufe der Zeit starben die nächsten Personen aus dem Pionierskreis, Ing. Petrowicz und Ing. Adolf Dollis. 

Ein paar Familien verließen Tczew, ein paar von ihnen wohnten in Starogard Gdanski (in Wendtlandów) – so sagte Pastor Kahane, von 1937 an Verwalter der Tczewer Gemeinde. Er amtierende in Gdynia. Der Gottesdienst fand nur drei Mal im Jahr in der Kapelle des Krankenhaus in Kocborowo statt und war trotzt der Teilnahme der Evangelischen aus Tczew und Gdynia nicht gut besucht. Erst in der Wende des Jahres 1938/1939 zogen 15 Personen dahin, die in der Glashütte in Skierniewice gearbeitet hatten. Die Tatsache hätte eine gute Aussicht für die Zukunft stellen können. Ein Jahr vorher standen auf der Liste der stimmberechtigten Personen 21 Nammen, 3 Nammen darunter waren aus Starogard. Ein Drittel musste keine Gebühren bezahlen: 2 Arbeitslose und 5 angeworbene Mitglieder (eine ähnliche Situation war schon 1933). Im Nammen des kirchlichen Rates unterschreiben Wilhelm Abt und K. Abt. Vertreter der Tczewer Evangelischen nahmen an den Festen der Gemeinde in Gdynia teil, unter anderem am 11. Juni 1939 an der Einweihung des Grundsteines der neuen Kapelle und am Gottesdienst.

Am 24. Juni 1938 fand in Gdynia das Begräbnis des Tczewer Gründer und gleichzeitig des Vorsitzenden des Kirchenrats, Henryk Kliem statt. Sein Grab ist heute noch am Friedhof in Witomino zu besuchen. Er wurde 1878 in Chodcz als Sohn und Enkel des Pastores geboren. Nach dem Studium im Verkehrsinstitut in Petersbug arbeitete er am Bau des dortigen Hafens und des Hafens in Archangielsk. Nach der Rückehr arbeitete er in Warschau beim Ausbau von Zoliborz. Dann wohnte er in Grodno und seit 1926 befasste er sich in Tczew mit dem Bau des Hafens und Eisenbahnknotenpunktes. Er arbeitete auch beim Bau der öffentlichen Gebäude an der Küste. In ihrem Haus im Vorort von Tczew-Górki führte die Herrschaft Kliem ein Internat für Jugendliche. 1936 verlegte Ing. Kliem sein Arbeitszimmer nach Gdynia. Am Begräbnis nahmen der Bürgermeister, Vertereter des Stadtrates und Direktoren der Tczewer Gymnasien teil. Am 1. Mai gab es eine Andacht, die dem Verstorbenen gewidmet war.

Der Angriff des 3. Reiches bedeutete auch das Ende der polnischen Gemeinde. Der junge und energische Pastor Kahane wurde im Lager Sachsenhausen zu Tode gequält.

Veränderungen nach dem 2. Weltkrieg

Das Jahr 1945 bedeutete diesmal das Ende der deutschen Gemeinde. Nach der Befreiung fanden die polnischen Gottesdienste, abgehaltene von Pastor Edward Dietz aus Sopot, in den Häusern der Gemeindemitgliedern statt. Erst nach langen Bemühungen wurde der erste öffentliche Gottesdienst in der Friedhofskapelle aus dem Jahre 1888 abgehalten. Dieser Gottesdienst zog 40 Teilnehmer an. Am 2. Oktober gab es einen festlichen Gottesdienst, mit dem Mitglieder der Gemeinde die zweijährige Renovierung der Kapelle feierten. Mit Hilfe der Mitglieder der Gemeinde wurde das Dach und die Elektroanlage erneuert. Der Innenraum wurde neu gestrichen. Die vorhandenen Flächen wurden auf Sakristei, Pfarrsaal, Katechismussaal aufgeteilt. Ein neuer, vom Pastor Martin Hesekiel aus Lübeck gestifteter Altar, eine Kanzel und ein Kreuz wurden eingeweiht. Die Predigt hielt ein Pastor der finnischen Mission für Matrosen, Risto Koistinen. Mit der Organisation der Veranstaltung beschäftigte sich die Familie Abt, Tadeusz Abt dirigierte den Chor aus Sopot, Gizela Abt hatte eine gesellige Begegnung nach dem Gottesdienst vorbereitet. Tadeusz Abt, Musiker und Komponist aus Tczew, mehrjähriger Aktivist der Musikbewegung in Tczew, ist nicht nur Mitglied des hiesigen Kulturrats, er führt auch mit Leidenschaft den Sopoter Chor der Gemeinde.

Erst 1992 wurde die Kapelle, die den Namen von Martin Luther trägt, Eigentum der evangelischen Gemeinde.

Jeden ersten und dritten Sonntag des Monats um 15.00 Uhr gibt es einen Gottesdienst, ausserdem gibt es jeden Dienstag Bibelstudien. Zum Rat der Filiale gehören: Tadeusz Abt, Jadwiga Nowicka, Horst Kolitz und Joanna Sturm-Krasta.

Jerzy Domaslawski


Zwiastun Ewangelicki Nr. 13-14 vom 7. 7. 2002