Entschädigung der Zwangsarbeiter

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Nazi-Diktatur beginnt in Deutschland eine Diskusion um die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter, genauer: die Entschädigung derer, die noch leben und die nachweisen können, daß sie von Deutschen zur Sklavenarbeit gezwungen wurden,

Angesichts der vielen Opfer des umfassenden Systems der Sklavenarbeit der Nazis geht es bei der Diskussion um die Entschädigung nur um die wenigen, die überhaupt noch eine Entschädigung erhalten können.

Hier einige Texte insbesondere zur Situation in Witten.






Entschädigung: Geld bestimmt die Moral

Historiker-Tagung zur NS-Zwangsarbeit

Von rund 10 Millionen ausländischen Zwangsarbeitern in Nazi Deutschland leben heute noch zwischen 1,2 und 1,5 Millionen. Diese Zahlen nannte die Historikerin Dr. Gabriele Lotfi gestern im Hans Böckler-Haus.

Die Zwangsarbeit in NS-Deutschland war der größte Fall der massenhaften, zwangsweisen Verwendung von ausländichen Arbeitskräften seit dem Ende der Sklaverei, sagte die Fachautorin auf der Tagung des Vereins Historikerinnen und Historiker vor Ort.
Im Spätsommer 1944 stellten die Zwangsarbeiter etwa ein Viertel aller in der Wirtschaft Beschäftigten. In Witten, wichtige Rüstungsschmiede, gab es mindestens 7000 Zwangsarbeiter.
Die ausländischen Arbeiter seien unter Missachtung der Menschenrechte als Sklaven ausgegrenzt worden, sagte die Referentin. Dies habe vor allem für die von den Nazis als rassisch minderwertig verachteten Russen gegolten. Die Zwangsarbeiter wurden in 30 000 Zivilarbeiterlagern untergebracht. Die willkürlichen Strafen reichten von Einsperren und Prügelstrafe bis zur standrechtlichen Erschießung.
Insbesondere Russen und Ukrainer, die Opfer zweier Terrorsysteme wurden, weil Stalin sie zu Vaterlands-Verrätern erkärte, warteten noch heute auf Wiedergutmachung, sagte die Referentin. Erst der Mauerfall und die vorbereiteten Sammelklagen aus den USA hätten Bewegung in die deutsche Politik gebracht. In der Entschädigungsfrage bestimme jedoch immer wieder das Geld die Moral. Deutschland dürfe die Chance nicht vertun, so Dr. Gabriele Lotfi, zumindest den letzten noch lebenden Zwangsarbeitern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es sei höchste Zeit für individuelle Ausgleichszahlungen. joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 29. 1. 2000




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Zwangsarbeit: 70 000 Mark von Wickmann

Die Wickmann-Werke wollen sich mit 60 000 bis 70 000 Mark am Entschädigungs-Fonds der Wirtschaft für ehemalige Zwangsarbeiter beteiligen.
Diese Zusage gab Personalchef Wolfgang Still gegenüber unserer Zeitung. Wie berichtet gab es in Witten im 2. Weltkrieg laut Internationalem Suchdienst und Stadtarchiv über 7000 Zwangsarbeiter in 41 Firmen. Auf Initiative der Opfer-Anwälte sprach das Stadtarchiv jüngst 13 noch greifbare Firmen an - mit beschränktem Erfolg: viel Betroffenheit, aber auch die Erklärung, damit habe man schon lange nichts mehr zu tun.
Anders bei Wickmann. Schon als die ersten Forderungen in den USA laut wurden, sei klar gewesen, dass wir uns dem stellen müssen, sagt Wolfgang Still. Nur Umfang und Art der Beteiligung hätten noch im Konzern geklärt werden müssen. Wickmann, Mitglied der Wehrhahn-Gruppe, hat selbst eine Tochter in den USA.
Im Krieg hatte Wickmann etwa 1000 Beschäftigte. Produziert wurden auch Sicherungen für U-Boote, Zerstörer und Flugzeuge. Die alte Personalkartei gibt zur Zwangsarbeit wenig her. Das Stadtarchiv stellte Wickmann jetzt eine Namensliste von 48 Zwangsarbeitern zur Verfügung, die dort beschäftigt waren. Wie viele noch leben, ist nicht bekannt.
Die Entschädigung orientiert sich laut Gesetzentwurf am heutigen Umsatz. Ein Promille vom Jahresumsatz sollen die Unternehmen bezahlen. Die Wehrhahn-Gruppe gibt danach 3,7 Mio Mark in den Entschädigungs-Fonds. joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 3. 2. 2000




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Stadtarchivarin macht Druck

Brief wegen Zwangsarbeitern

Die Leiterin des Stadtarchivs, Dr. Martina Kliner-Fruck, ist Mitunterzeichnerin eines Offenen Briefes an die Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft.

Der Brief soll dringend eine bessere Personalausstattung des Internationalen Suchdienstes des internationalen Roten Kreuzes in Arolsen (ITS) für ehemalige Zwangsarbeiter in der NS-Zeit bewirken. Das ITS hat das weltweit größte Personendaten-Archiv über NS-Verfolgte. Dorthin wendet sich die Mehrheit aller Verfolgten, die ihre damalige Zwangsarbeit nachweisen und dokumentieren müssen, um Schadenersatz zu erhalten. Laut Dr. Kliner-Fruck herrschen beim ITS-Archiv aber schlechte personelle Zustände. Die Historikerin, zugleich stellvertretende Vorsitzende des Vereins Historikerinnen und Historiker vor Ort e.V., beruft sich dabei auf einen ARD-Fernsehbericht. Unter den 400 Mitarbeitern seien keine Fachleute, weder Historiker noch Archivare. Dennoch plane die Bundesregierung den Abbau von 120 Stellen.
Kliner-Fruck: Die beschriebene Situation beim ITS erscheint uns angesichts der anstehenden Entschädigungsanträge von schätzungsweise 1,5 Millionen ehemaliger Zwangsarbeiter inhuman und unverantwortlich. Die Betroffenen haben ein so hohes Lebensalter erreicht, das weitere Zeitverluste bei der Bearbeitung ihrer Anträge unverzeihlich macht.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 17. 3. 2000




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N S - Z W A N G S A R B E I T E R

Entschädigungsfonds vor dem Kollaps

Die Stiftungsinitiative zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter droht zu scheitern: Falls der von der Wirtschaft angepeilte Betrag von fünf Milliarden Mark nicht zusammenkommt, könnte sich die Organisation selbst auflösen. Nun überlegt man, zahlungsunwillige Firmen öffentlich bloßzustellen.

Hamburg - Grund für die Probleme ist die nur schleppend verlaufende Sammelaktion der deutschen Wirtschaft, die erst 2,84 Milliarden statt der angestrebten fünf Milliarden Mark erbracht hat. Als Konsequenz daraus denke die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft über eine Selbstauflösung für den Fall nach, dass die Unternehmen bis zum Sommer nicht weitere zwei Milliarden Mark zusagten, berichtete die "Welt am Sonntag".

Bei einer Selbstauflösung sei geplant, das gesammelte Geld an die Spender zurückzuzahlen. Wenn der zugesagte Betrag aber annähernd erzielt werde, würden die 16 Gründungsmitglieder, darunter Unternehmen wie Siemens, Allianz, DaimlerChrysler oder Bayer, den Fehlbetrag nachschießen.

Der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, dementierte diese Darstellung. Es gebe weder Pläne der Gründer, mehr Geld als versprochen zu bezahlen noch Überlegungen, den fehlenden Betrag mit Bürgschaften oder Krediten zu überbrücken. "Das Geld muss biszum Sommer aus der Wirtschaft kommen", sagte Gibowski. Er zeigte sich zuversichtlich, die noch fehlenden gut zwei Milliarden Mark zusammenzubekommen.

Die Industrie werde sich keine Blamage leisten, sagte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die Zwangsarbeiter-Frage, Otto Graf Lambsdorff, dem SPIEGEL. "Wenn sie fünf Milliarden Mark durch ihre führenden Vertreter zusagt, werden die fünf Milliarden kommen. Dessen bin ich mir absolut sicher." Bundesregierung und Industrie wollen insgesamt zehn Milliarden Mark in den Stiftungsfonds zahlen.

Gibowski räumte dennoch ein, dass sich seine Organisation Sorgen mache und den Druck auf die Unternehmen in den nächsten Wochen erhöhen werde. So könnten beispielsweise einzelne zahlungsunwillige Unternehmen öffentlich beim Namen genannt und so bloßgestellt werden.

Auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, schlug eine weltweite Veröffentlichung der Namen jener zahlungsunwilligen Firmen vor, die Zwangsarbeit zu verantworten hätten.
Das werde vor allem in den USA Folgen für die Geschäfte haben.

Friedman nannte es "beschämend, unverständlich und unverzeihlich", dass auch mehrere Monate nach der Aufforderung an die Wirtschaft nur gut die Hälfte des Geldes zusammengekommen sei. "Dieser Offenbarungseid ist für mich nicht nachvollziehbar in einem der reichsten Länder der Welt, umso mehr, als diese Gelder voll steuerabzugsfähig sind."

SPIEGEL ONLINE   7. 5. 2000




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Hammerwerk bereit für Entschädigung

Die Geschäftsführung der Wengeler & und Kalthoff Hammerwerke in Herbede hat sich dazu entschlossen, der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft Erinnerung, Verantwortung und Zukunft beizutreten.
Als Mitglied der Initiative wollen uns der moralischen Verantwortung für die Folgen der Zwangsarbeit während der NS-Zeit stellen, erklärte Geschäftsführer Friedrich Wilhelm Wengeler, obwohl die unserem Unternehmen seinerzeit zugewiesenen Zwangsarbeiter gut behandelt wurden und das Unternehmen seinerzeit bereits Zahlungen an den NS Staat erbringen mußte. Wir sehen den Beitritt zur Stiftungsinitative als Geste der Versöhnung, um heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern unbürokratisch zu helfen.
Maßgebend für den Beitritt sei das deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen gewesen und die damit verbundene Rechtssicherheit.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten. 26. 7. 2000




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Zwangsarbeit: Bittbriefe aus der Ukraine

150 Anfragen seit Herbst 1999

Von den fast 100 schriftlichen Anfragen zur Zwangsarbeit seit Jahresbeginn konnte das Stadtarchiv bisher 90 Prozent postiv beantworten.

Betroffenen konnte bescheinigt werden, dass sie als Zwangsarbeiter in Witten gearbeitet haben. Oder ihre Angaben wurden als glaubhaft bestätigt. Mindestens letzteres ist erforderlich, um Ansprüche auf Leistungen aus dem Entschädigungsfonds geltend zu machen. Im Herbst '99 waren in einer ersten Welle 50 Anfragen eingegangen. 80 Prozent der Briefe kommen aus der Ukraine, die anderen aus Polen (10 %), Frankreich, Holland, Belgien und Italien. Die Betroffenen schildern karge Lebensumstände, Krankheit und Gebrechen, hoffen auf einen kleinen Geldbetrag. Die meisten sind Jahrgang 1920 bis 1925, der älteste Jahrgang 1899 101 Jahre alt.
Der Stil, sagt Archivleiterin Dr. Martina Kliner-Fruck, sei selten fordernd, in aller Regel bittend, bis zur Unterwürfigkeit. Standardformulierung: Entschuldigen Sie bitte die Störung . . . Kliner-Fruck: Ich bin oft persönlich beschämt.
Ein Grund mehr, die Anfragen mit Hochdruck abzuarbeiten. Recherchen dauern im Regelfall drei Stunden, manche drei Monate. Die meisten Nachweise wurden für Ex- Zwangsarbeiter der Ruhrstahl AG ausgestellt. Andere arbeiteten bei Mannesmann, Pleiger, Düchting, Bredt & Co., Tafelglas, Reichsbahn, Wickmann, in kleinen Handwerksbetrieben, beim Fuhrmann, Anstreicher, Metzger, Bäcker, Schuhmacher, im Modegeschäft, im Privathaushalt, beim Bauern.
Seriöse Schätzungen gehen von 10 000 Zwangsarbeitern in Witten aus. Laut Internationalem Suchdienst und vorläufiger Auswertung von städtischen Meldelisten von 1946 beschäftigten 119 Betriebe Zwangsarbeiter, davon 38 Landwirte. Von fünf oder sechs Firmen steht wohl fest, dass es dort keine keine Zwangsarbeiter gab. Nach Kenntnis des Archivs wollen sich bisher am Entschädigungsfonds beteiligen: EWK, Wickmann, Korfmann, Wengeler & Kalthoff. Anfragen sind willkommen: 581-2415. joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 29. 7. 2000




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Zwangsarbeit: Acht zahlen Entschädigung

44 Firmen im IHK-Bezirk

44 von 3100 aufgerufenen Unternehmen im IHK-Bezirk Bochum sind bisher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zu Gunsten der NS Zwangsarbeiter beigetreten. Acht davon haben ihren Sitz in Witten.

Die im Februar gegründete Stiftungsinitiative ruft die Unternehmen zum Beitritt auf, unabhängig davon, ob sie im Krieg bereits existierten oder ob sie oder ihre Vorläufer tatsächlich Zwangsarbeiter beschäftigt hatten. Die Initiative spricht von einer Geste der Versöhnung, die gleichzeitig Rechtsfrieden und Schutz vor weiteren Forderungen bringen soll.
5 Mrd. muss die Wirtschaft aufbringen, 3,32 Millarden Mark hat sie bisher gesammelt.

In Absprache mit der Stiftungsinitiative hatte die IHK Bochum im Frühjahr 3100 Betriebe in Bochum, Witten, Herne und Hattingen angeschrieben. Der Aufruf mit beigefügter Beitrittserklärung wurde an alle im Handelsregister eingetragenen Betriebe mit über zehn Mitarbeitern verschickt. Die Aktion wurde später wiederholt. Zudem habe man in vielen Einzelgesprächen Überzeugungsarbeit geleistet, so die IHK. Kammer-Präsident Pieper war mit seinem eigenen Unternehmen (Parfümerie Pieper, Herne), am 28. März beigetreten.

Wir erhoffen uns noch eine deutliche Zunahme, wenn wir den Rechtsfrieden tatsächlich gesichert kriegen, kommentierte ein IHK-Sprecher gestern die aktuellen Zahlen.
Einige Unternehmen zögerten noch und pochten auf diese Bedingung. Unter den 3100 Firmen befänden sich zudem etliche Tochterfirmen, die bereits über ihre Mütter dem Stiftungsfonds beigetreten sind. Dazu zählen u.a. folgende Konzerne mit Töchtern in Witten: Degussa Hüls AG Frankfurt, Mannesmann Düsseldorf, Thyssen Krupp Stahl Duisburg (alle '99 beigetreten) und die Wehrhahn-Gruppe Neuss (18. 1. 2000), der das Wittener Wickmann-Werk angehört. Joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 11. 11. 2000




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Kundgebung vor Böhmer - Firma: Jobs gehen vor

Zwangsarbeiter-Entschädigung

Die Initiative Gegen Zwangsarbeit plant für Donnerstag, 15-17 Uhr, eine Kundgebung vor dem Eisenwerk Böhmer.

Man wolle auf Firmen aufmerksam machen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, aber keine Entschädigung zahlen, so eine Sprecherin. Laut Stadtarchiv haben bei Böhmer 25 russische Zwangsarbeiter gearbeitet, dazu Zivilarbeiter aus Belgien (2), Holland (5), Polen (1) sowie 16 Kriegsgefangene.
Er könne diese Angaben teilweise bestätigen, so Wilfried Erik Böhmer, kaufmännischer Geschäftsführer. Er habe das Firmenarchiv durchforstet aber keine Anzeichen gefunden, dass diese Menschen schlechter behandelt wurden als andere Mitarbeiter. Sie hätten in Werkswohnungen gewohnt. Das Arbeitsamt habe sie vermittelt, die Stadt einen Großteil des Hilfsarbeiterlohnes als Ostarbeiterabgabe einbehalten.
Den Ausschlag dafür, der Stiftungsinititave nicht beizutreten, gebe aber die aktuelle Wirtschaftslage. Als Stahlgießerei sind wir nicht auf Rosen gebettet. Man habe abwägen müssen zwischen der Verantwortung für allgemeines Unrecht vor 60 Jahren und der für 225 aktuelle Arbeitsplätze. Die Entscheidung, eine sechsstellige Summe lieber in den Betrieb zu stecken, sei auch auf einer Betriebsversammlung nicht angefochten worden. joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 24. 1. 2001




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J.D. Neuhaus tritt Initiative spontan bei

Zwangsarbeiter-Entschädigung

Eine schwarze Liste Wittener Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, aber keine Entschädigung zahlen wollen, will die Initiative Gegen Zwangsarbeit heute veröffentlichen. Die Redaktion bat die Unternehmen um Stellungnahme.

Noch gestern Vormittag glaubte Wilfried Neuhaus-Galladé (43) an einen Irrtum und begründete das Nein zum Entschädigungsfonds: Wir sind in dieser Zeit sauber geblieben. Das 256 Jahre alte Familienunternehmen J.D. Neuhaus habe im 2. Weltkrieg nur etwa zehn Mitarbeiter gehabt und keine Zwangsarbeiter beschäftigt, dessen sei er sich nach Sichtung der Archive und Befragung älterer Mitarbeiter sicher. Aber wenn es neue Erkenntnisse gibt, müssen wir unsere Position eventuell überdenken.

Diese Erkenntnisse lagen dem Firmenchef nach Rücksprache mit dem Stadtarchiv vor: Nach dessen Unterlagen hatten vier Polen und vier Franzosen bei J. D. Neuhaus Zwangsarbeit geleistet. Über dieses Ergebnis jüngerer Nachforschungen haben wir das Unternehmen nicht von uns aus informiert, bestätigte das Stadtarchiv später. Neuhaus-Galladé griff umgehend zum Telefonhörer und informierte die Redaktion. Er hätte sich eine offensivere Informationspolitik der Stadt gewünscht, merkte er an und versprach: Wir werden der Stiftungsinitiative beitreten. Man wolle sich mit dem empfohlenen Beitrag (ein Promille von Jahresumsatz) am Entschädigungsfonds beteiligen. Am Nachmittag war der Beitritt zur Stiftungsinitiative in Berlin bereits vollzogen.

Die Maschinenfabrik Scharfen von der Ruhrstraße (23 Zwangsarbeiter in WK II laut Stadtarchiv) begründet das Nein zum Entschädigungsfonds mit roten Zahlen. Wir müssen um Arbeitsplätze fürchten, so Geschäftsführer Hermann Scharfen. Außerdem habe er die Firma vor zehn Jahren vom Vater gekauft und bis auf den Namen umfirmiert.
Wir sind eine andere Firma.
Auch die Maschinenfabrik Heinrich Geissler (120 Zwangsarbeiter in WK II) verweist auf einen Besitzerwechsel. Der Familienbetrieb im Bebbelsdorf ging in den 80er Jahren in Konkurs. Betriebsleiter und Prokurist kauften ihn aus der Konkursmasse und bauten ihn wieder auf.
Reaktionen von drei weiteren in der schwarzen Liste aufgeführten Firmen standen gestern Abend noch aus. joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten vom 25. 1. 2001




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Düchting und Bewa treten Stiftung bei

Zwangsarbeiter-Entschädigung

Die schwarze Liste von Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, aber keine Entschädigung zahlen, schrumpft. Kaum hatte die Initiative Gegen Zwangsarbeit gestern vor dem Eisenwerk Böhmer ihre Transparente ausgerollt, konnte sie die ersten Namen streichen.

J. D. Neuhaus hatte den Schritt nach neuen Erkenntnissen über acht Zivilarbeiter am Mittwoch vollzogen. Gestern teilten Düchting und die Bewa Spezialfabrik für Stromzuführungen (Annen) den Beitritt zur Stiftungsinitiative bzw. die Beitrittsabsicht mit. Beiden hatte das Stadtarchiv die Auswertung offizieller Quellen vor Jahresfrist übermittelt: 34 russische und vier französische Zivilarbeiter bei Düchting, neun Ostarbeiter bei Bewa. Wir sind der Stiftungsinitiative ganz frisch beigetreten, hieß es gestern bei Düchting knapp. Beabsichtigt habe man das schon immer, doch wegen fehlender Rechtssicherheit abgewartet. Rolf Spieckermann (Bewa) verwies gestern zunächst auf fehlende konkrete Angaben zu Forderungen und Stiftungsbeiträgen. Die Stiftung in Berlin schickt ihm jetzt eine Beitrittserklärung. Spieckermann will unterschreiben: Wir stecken den Kopf nicht in den Sand.
Barbara Diolosa-Paszek von der Initiative Gegen Zwangsarbeit freute sich: Dann hat sich die Arbeit doch gelohnt. Die Gruppe hatte Firmen ihrer schwarzen Liste wiederholt zum Beitritt aufgerufen.
Die Böhmer-Geschäftsführung reagierte gestern nicht auf die Transparente am Werkstor. Sie hatte im Vorfeld mitgeteilt, wegen aktueller Sorgen um Arbeitsplätze könne man keine Entschädigung zahlen.
Über das Auftauchen der Stadt Witten auf der schwarzen Liste war Sprecher Jochen Kompernaß verärgert. Das ist nicht fair, in diese Ecke gehören wir nicht! Alle Forderungen an die öffentliche Hand seien über den Bundesbeitrag von 5 Mrd. Mark abgegolten. Er verwies zudem auf die sechsstelligen Beiträge von Stadtwerken und Stadtsparkasse sowie auf das vorbildliche Engagement der Stadt und namentlich des Stadtarchivs bei der Aufarbeitung der Vergangenheit.
Als einziges Unternehmen der schwarzen Liste verweigerte Pleiger im Hammertal jede Reaktion: Keine Stellungnahme und kein Interview. Laut Lagerlisten des Internationalen Suchdienstes waren bei Pleiger im Krieg 200 Zwangsarbeiter beschäftigt. joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 26. 1. 2001




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Initiative stellt Pleiger an den Pranger

Kein Geld für Zwangsarbeiter

Mit zehn Teilnehmern hat die Bürgerinitiative Gegen Zwangsarbeit gestern vor dem Firmeneingang der Paul Pleiger GmbH & Co. KG im Hammertal demonstiert. Erklärtes Ziel: Das Unternehmen doch noch zu bewegen, der Stiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeitern beizutreten.

Nach den Zahlen des Wittener Stadtarchives, die auf der Camps and Prisons-Liste der Vereinten Nationen beruhen, waren bei Pleiger in Buchholz während der NS-Zeit mindestens 200 Zwangsarbeiter beschäftigt, davon 80 Prozent Russen. Nach Angaben der Bürgerinitiative, die zusätzlich in Hattinger Archiven recherchiert hatte, waren es zwischen 330 und 350 Zwangsarbeiter, darunter auch viele Polen. Und bis jetzt ist Pleiger nicht bereit zu zahlen, prangerte Barbara Diolosa-Paszek von der Bürgerinitiative das Unternehmen gestern bei der Kundgebung an, gab sich jedoch keinen Illusionen hin: Die werden auch nicht zahlen.

Und dennoch stand der harte Kern der Initiative vor den verschlossenen Toren, rollte die Transparente aus und verteilte Flugblätter, in denen die exponierte Stellung des Firmengründers im nationalsozialistischen Wirtschafts-System beschrieben wird. Paul Pleiger, dem enge Beziehungen zu Himmler und Göring nachgesagt werden, machte in der NS-Wirtschaft Karriere: Vorstandschef der Reichswerk A.G. für Erzbergbau und Eisenhütten Hermann Göring mit 500 000 Beschäftigten, Mitglied im Reichsrüstungsrat, Vorsitzender der Reichsvereinigung Kohle. Er soll persönlich auf den Einsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstung sowie von russischen Zwangsarbeitern im Bergbau gedrängt haben. In den Nürnberger Nachfolgeprozessen zu 15 Jahren verurteilt, saß er davon drei im Zuchthaus ab.

Bürgermeister Klaus Lohmann hatte die Geschäftsführung von Pleiger persönlich angesprochen, um sie zum Beitritt zur Stiftungsinitiative zu bewegen ohne Ergebnis in der Sache, wie es gestern hieß.

Gegenüber dieser Zeitung lehnte die Firma Pleiger gestern wie bereits im Januar jede Stellungnahme ab. flo/joko

Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 7. 6. 2001




Wer war Paul Pleiger?

empfohlende Literatur:

Scheibe, Axel: Paul Pleiger: Ehrgeiziger Wirtschaftsfunktionär. in: Wittener. Biografische Porträts / hrsg. von Frank Ahland und Matthias Dudde. - Witten, 2000

und

Prof. Dr. Wilfried Reininghaus vom Staatsarchiv Münster erwähnt Paul Pleiger in einem Vortrag über Zwangsarbeit in Westfalen nur am Rande, wobei aber schon die Stellung Pleiges in der NS-Kriegswirtschaft und dessen persönlichen Motive zum Ausdruck kommen:

"[ ... ]
Schon 1940/41 war es für den Reichstreuhänder der Arbeit und die Lokalbehörden notwendig geworden, die Arbeitsdiszplin nach Nationalitäten zu kategorisieren. Mit den Kriegsgefangenen und den zwangsweise in der Sowjetunion rekrutierten Arbeiterinnen und Arbeitern kamen auf die deutschen Behörden dramatische Probleme zu. Beinahe schonend bereitete das Wehrkreiskommando VI am 24. Oktober 1941 die westfälischen Verwaltungs- und Polizeibehörden darauf vor, daß viele der 3,2 Millionen Kriegsgefangenen mittelfristig in die deutsche Wirtschaft einbezogen werden sollten.
Sowohl politische als auch wirtschaftliche Notwendigkeiten ließen auf Dauer keine andere Wahl. Zunächst sollten 48.000 sowjetische Kriegsgefangene in den Wehrkreis VI kommen. Sie sollten Franzosen ersetzen, die in der Landwirtschaft und in der Luftfahrtindustrie benötigt wurden. Das Wehrkreiskommando warnte vor den "zerlumpten" und "ausgehungerten" Russen und befürchtete bolschewistische Agitation. Zwar seien Offiziere und Asiaten von der Zwangsarbeit ausgeschlossen, doch drohten laut Wehrkreiskommando erhebliche Gefahren durch Kontakte mit der deutschen Zivilbevölkerung. Es wies daher Verwaltung und Polizeipräsidien an, zur Abwehr dieser Gefahren die Zusammenarbeit zwischen den Kommandaten der Stammlager und den örtlichen Polizeibehörden "im Interesse deutschen Lebens und deutschen Guts zu fördern". Ob das Wehrkreiskommando bewußt die westfälischen Behörden über die inzwischen schon auf Reichsebene gefallenen Entscheidungen im unklaren ließ oder es selbst noch nicht darüber informiert war, läßt sich nicht feststellen.
Tatsächlich war bereits im September 1941 unter Beteiligung des ehemaligen Gauwirtschaftsberaters von Westfalen-Süd Paul Pleiger entschieden worden, nicht nur Kriegsgefangene einzusetzen, sondern Bergleute aus dem ukrainischen Erzrevier von Kriwoj Rog anzuwerben. Auch Himmler stimmte am 24. September 1941 zu. Pleiger erhielt im November die Genehmigung, 10.00 bis 12.000 ukrainische Bergleute im deutschen Bergbau einzusetzen. Als der europäische Teil der Sowjetunion für die Landesarbeitämter in Distrikte aufgeteilt wurde, blieb Kriwoj Rog der für Westfalen reservierte Anwerbebezirk. Nebenbei zeigt eine nach Kriegsende durchgeführte Erhebung, daß Pleiger seine eigenen geschäftliche Interessen bei der Anwerbung nicht aus den Augen verlor. Er beschäftigte in seinem Bergbauzulieferbetrieb in Hammertal 1945 rund 500 russische Arbeitskräfte.
[ ... ]"

in: Reininghaus, Wilfried: Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in Westfalen 1939-1945. Quellen des Staatsarchivs Münster. Vortrag vom 28. Januar 2000.
hier zitiert nach der Veröffentlichung des Staatsarchives Münster:
www.archive.nrw.de/dok/reininghaus01/zwangsarbeit.html

 



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Entschädigung: Antragsflut reißt nicht ab

Nachweise in 95 % möglich

Auf Grund der guten Quellenlage konnte das Stadtarchiv bei Anfragen ehemaliger Wittener Zwangsarbeiter bisher in 95 Prozent den für den Entschädigungsfonds erforderlichen Nachweis ausstellen.

Für die restlichen fünf Prozent konnten Plausibilitäserkläungen abgegeben werden. Archivleiterin Dr. Martina Kliner-Fruck zog gestern eine Zwischenbilanz. Bis Ende 2000 waren bereits 130 Nachweise für ehemalige Zwangsarbeiter bearbeitet, im laufenden Kalendejahr sind es bereits 100. Die Mehrzahl der Anfragen stammt aus der Ukraine, Weißrußland und Polen. Weitere kamen aus Frankreich, Belgien, Italien und den Niederlanden. Recherchen werden nicht nur in den mikroverfilmten Meldekarteien von Witten und Herbede und den archivierten Beschätigungslisten von Firmen angestellt. Oft waren auch Rückfragen bei Firmen, Allgemeinen Ortskrankenkassen, Landesversicherungsanstalt oder Privatpersonen erfolgreich. Auch vier Ex Zwangsarbeiter des Deutschen Reiches, die heute in Witten wohnen, unterstützten das Archiv beim Einholen eidesstattlicher Erkläungen.
Die Flut von Anfragen reißt nicht ab. Sie beanspruchen inzwischen den Großteil der Arbeitskapazität des Stadtarchivs. Für 2002 rechnet es mit weiteren 200 bis 400 Anfragen, die der Int. Suchdienst dann weiterleitet. "Ein Erbe, das uns die Kriegs- und Nachkriegsgeneration hinterlassen hat", sagt Dr. Martina Kliner-Fruck. Inzwischen liegen auch neue Forschungsergebnissevor. joko
Fortsetzung: 2. Lokalseite

Wetdeutsche Allgemeine Zeitung. Witten, 9. 8. 2001




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Ein zäher Kampf für Menschenwürde

Witten. Die Zahl der Zwangsarbeiter, die während der Nazi-Diktatur in der Ruhrstadt festgehalten wurden, muss nach oben korrigiert werden. Davon geht der Historiker Ralph Klein aus.
"Nach relativ konservativen Schätzungen haben rund 14 000 zivile Zwangsarbeiter und 4000 Kriegsgefangene in Witten gelebt. In Herbede waren es insgesamt 2000", sagte der 46-Jährige, der im Auftrag der Stadtverwaltung das Leben und Sterben der Zwangsarbeiter seit eineinhalb Jahren untersucht. Gestern gaben er und Stadtarchiv-Leiterin Dr. Martina Kliner-Fruck einen Überblick über den aktuellen Stand der Geschichtsforschung und der Anfragen ehemaliger Zwangsarbeiter vor dem Hintergrund der Entschädigungszahlungen.
"Im Rahmen des Antrags, den ehemalige Zwangsarbeiter an den Entschädigungsfonds stellen, ist ein schriftlicher Nachweis entscheidend. Davon haben wir bisher etwa 230 erbringen können", erklärte Kliner-Fruck. Ein Archivmitarbeiter sei mit der Erfassung der mikroverfilmten Meldekarteien beschäftigt und habe die Karteien für Herbede vollständig und für Witten bereits bis zur Hälfte in die EDV übertragen können.
"Damit werden wir gut gerüstet sein, wenn wir Anfang des nächsten Jahres die große Welle der Anfragen erwarten", sagte Kliner-Fruck. Die internationalen Organisationen hätten sich darauf geeinigt, die Anfragen der Zwangsarbeiter zuerst an den Internationalen Suchdienst nach Arolsen zu leiten. "Wir gehen davon aus, dass dieser Suchdienst den deutschen Archiven die gesammelten Anfragen schickt, wenn die Antragsfrist am Jahreswechsel abgelaufen ist", betonte die Archivleiterin.
Klein, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Dortmund, war vom alltäglichen Leben der Zwangsarbeiter erstaunt. "Mein unerwartetes Zwischenergebnis ist, dass die Zwangsarbeiter keine wehrlosen Opfer waren, sondern zäh und ausdauernd für ihre Menschenwürde gekämpft haben", sagte der Historiker. Immer und überall hätten sie versucht, ihre Freiheiten zu erweitern und religiöse oder kulturelle Bedürfnisse zu befriedigen.
Das System der Zwangsarbeiter sei nicht alleine durch den Staat, sondern durch eine funktionierende Bürokratie und vor allem die Bürger mitgetragen worden, so Klein. os

Ruhr Nachrichten - Witten, 9. 8. 2001




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Unbezahlte Sklavenarbeit. Einbehaltene Löhne und Entschädigungszahlungen für NS-Zwangsarbeiter




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Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -


Pressemitteilung Nr. 1/2005 vom 4. Januar 2005

Dazu Beschluss vom 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 -

Zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern



Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) von vier ehemaligen NS-Zwangsarbeitern, die vor den Zivilgerichten erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld geklagt hatten, nicht zur Entscheidung angenommen.

Hintergrund:

Während des Zweiten Weltkriegs wurden im Machtbereich des Deutschen Reichs Millionen Menschen deportiert und in Lager verschiedener Art verschleppt. Dort sowie in der Privatwirtschaft in Deutschland und den besetzten Ländern wurden sie zu Arbeitsleistungen gezwungen. Besonders hart war das Los der in Konzentrationslagern Inhaftierten. Die Unmenschlichkeit war weiter gesteigert für diejenigen, die in Vernichtungslagern wie Auschwitz arbeiteten. Sehr viele starben. Die Überlebenden konnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Entschädigung für das ihnen zugefügte Unrecht erwarten.

Zu einer solchen Entschädigung kam es lange Zeit jedoch nicht. Erst eine Reihe von Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter gegen deutsche Unternehmen in den USA in den 90er Jahren gab den Anstoß, nach einer Lösung zu suchen. Nach langwierigen Verhandlungen unter Beteiligung der USA, Israels, Russlands, Polens, Tschechiens, der Ukraine, Weißrusslands, der Stifterinitiative deutscher Unternehmen, der Claims Conference sowie einer Reihe von Anwälten, die Opfer des Nationalsozialismus vertraten, schloss die Bundesrepublik Deutschland mit den USA ein Regierungsabkommen über die Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".
Am 2. August 2000 trat das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) in Kraft. Mit der Stiftung wollen die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen ein Zeichen ihrer historischen und moralischen Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus setzen. Nach dem Stiftungsgesetz wird die Stiftung mit einem Vermögen von 10 Milliarden DM ausgestattet, die je zur Hälfte von der Bundesrepublik und von der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft aufgebracht werden sollen. Die Leistungsberechtigten erhalten Ansprüche gegen die Stiftung in einer Höhe bis zu 15.000 DM. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG sind etwaige weitergehende Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland und gegen deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht ausgeschlossen.
Im Juni 2001 begann die Stiftung mit den Auszahlungen an die bis zu 1,7 Millionen Leistungsberechtigten. Im Sommer 2005 soll die Auszahlung insgesamt abgeschlossen werden.

Sachverhalt:

Die zwischen 1915 und 1925 geborenen Beschwerdeführer (Bf; einer der Bf ist inzwischen verstorben) wurden nach der Besetzung Polens durch die Deutsche Wehrmacht gefangen genommen, weil sie Juden waren. Sie mussten als Häftlinge des KZ Auschwitz-Monowitz Zwangsarbeit in dem dortigen Betrieb der I.G. Farbenindustrie AG leisten. Unter unmenschlichen Bedingungen und ohne ausreichende Ernährung mussten die Bf etwa 84 Stunden in der Woche schwerste Arbeit verrichten. Sobald Zwangsarbeiter der I.G Farbenindustrie nicht mehr arbeitsfähig waren, wurden sie der SS zur Ermordung im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau übergeben.

Am 29. und 30. Juli 1948 verurteile das Militärgericht der Vereinigten Staaten in Nürnberg 13 Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte des Unternehmens zu Freiheitsstrafen. Der Konzern wurde von den Alliierten in die Unternehmen Bayer, Hoechst, BASF sowie weitere Unternehmen aufgespalten, die Rechtsnachfolge verblieb bei der I.G. Farbenindustrie AG in Abwicklung.

Die zivilrechtliche Klage der Bf gegen die I.G. Farbenindustrie auf Schadensersatz und Schmerzensgeld blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
Mit ihrer gegen die Entscheidungen gerichteten Vb rügen die Bf die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Vb zur Entscheidung liegen nicht vor, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Bf sind nicht in ihrem Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzt.

1. Die Ansprüche der Bf, die sie auf Grund der Zwangsarbeit erlangt haben, werden von der Eigentumsgarantie erfasst. Die Bf wurden in dem Betrieb der Beklagten unter Bedingungen zur Arbeit gezwungen, die, wären sie nicht befreit worden, ihren sicheren Tod bedeutet hätten. Hieraus stehen den Bf gegen die Beklagte schuldrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Wertersatz für die erbrachten Arbeitsleistungen zu.

Allerdings können die Ansprüche - unabhängig von der Frage der Verjährung - infolge der Regelungen des Stiftungsgesetzes nicht mehr gegen die Beklagte geltend gemacht werden. Denn durch das Stiftungsgesetz werden etwaige Ansprüche gegen deutsche Unternehmen in solche gegen die Stiftung umgeformt.

2. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Stiftungsgesetzes eine auf einen gerechten Interessenausgleich zielende Gesamtregelung vorgenommen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die im Stiftungsgesetz enthaltenen Regelungen über die Anspruchsberechtigung von Zwangsarbeitern stellen eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dar. Die Frage, wie weit der Gesetzgeber Inhalt und Schranken bestimmen darf, lässt sich nicht unabhängig davon beantworten, aus welchen Gründen der Eigentümer seine Position erworben hat und ob sie durch einen personalen oder sozialen Bezug geprägt ist. Die Ansprüche der Bf beruhen auf erlittenem Unrecht, auf Leistungen des ausgebeuteten Opfers und erlittenen Qualen. Ein stärkerer personaler Bezug der Eigentumsposition als der des Ausgleichsanspruchs von Menschen, die buchstäblich um ihr Leben arbeiten mussten, ist kaum vorstellbar.

Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers wird auch durch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse beeinflusst. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber des Jahres 2000 hatten mit der ungelösten Frage der Zwangsarbeiterentschädigung ein Problem zu bewältigen, dessen Regelung frühere Bundesregierungen stets aufgeschoben hatten. Es bestand ein dringendes Bedürfnis, endlich einen Weg zur möglichst abschließenden vermögensrechtlichen Bewältigung dieser Folgen des nationalsozialistischen Unrechts zu finden. Die Errichtung der Stiftung stellte eine späte entschädigungsrechtliche Anerkennung des den Zwangsarbeitern zugefügten Unrechts dar. Die vorgesehenen Zahlungen sollten Finanzwert und Symbolwert haben. Den Geschädigten sollten langwierige rechtliche Auseinandersetzungen erspart werden. Zudem sollte die Chance verbessert werden, dass die Geschädigten Zahlungen noch zu Lebzeiten erhalten.

Deshalb durfte der Gesetzgeber es für geboten halten, nicht zunächst alle noch streitigen Rechtsfragen zu klären, sondern eine pauschale Regelung zu treffen. Insbesondere durfte er berücksichtigten, dass der Inhalt des zu erlassenden Gesetzes weitgehend vorgegeben war durch die Einigung, die zwischen der Bundesregierung und den Regierungen verschiedener ausländischer Staaten sowie den Vertretern ehemaliger Zwangsarbeiter erreicht worden war. Die getroffene Regelung wäre nicht zustande gekommen, wenn diese Beteiligten nicht davon überzeugt gewesen wären, dass die schließlich gefundene Konstruktion angesichts der vielen Unsicherheiten auch für die ehemaligen Zwangsarbeiter eine angemessene Lösung schaffen würde.

3. Auch die im Stiftungsgesetz konkret getroffenen Vorkehrungen genügen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen gerechten Interessenausgleich zu stellen sind.

Das Gesetz bezweckt den Ausgleich zwischen den Interessen der ehemaligen Zwangsarbeiter und dem Interesse deutscher Unternehmen und der Bundesrepublik Deutschland an einem ausreichenden Maß an Rechtssicherheit. Dies versucht das Gesetz dadurch zu erreichen, dass etwaige Ansprüche gegen deutsche Unternehmen in solche gegen die Stiftung umgeformt werden.

Die von den Bf vor allem angegriffene Bestimmung des § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG ist im Rahmen des Gesamtausgleichs nicht unangemessen. Die damit verbundene Beeinträchtigung des Eigentumsrechts der Bf ist nur im Rahmen der einverständlich gefundenen Gesamtregelung zu rechtfertigen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung zu Verbesserungen für die Rechtsposition der Gesamtheit der etwa 1,7 Millionen noch lebenden Zwangsarbeiter führt. Sie trägt den erheblichen Unsicherheiten Rechnung, unter denen die Durchsetzung der Ansprüche steht.
Ohne die Einrichtung der Stiftung hätte, wenn überhaupt, nur ein äußerst geringer Bruchteil der früheren Zwangsarbeiter die an sich bestehenden Ansprüche tatsächlich durchsetzen können. Erst der Druck der Gemeinschaft der Geschädigten hat es ermöglicht, innerhalb kurzer Zeit der Gesamtheit aller noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter eine Entschädigung zukommen zu lassen. Daher trifft den Einzelnen, nachdem die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Geschädigten seinen Anspruch erst realisierbar gemacht hat, eine - begrenzte - Pflicht, eine Neuordnung der Berechtigung hinzunehmen, die auf eine Stärkung der Rechtsposition zielt. Mögliche Nachteile für den Einzelnen müssen gegen die insgesamt erzielten Vorteile abgewogen werden.

Allerdings ist die durch die Stiftung bewirkte Belastung der deutschen Wirtschaft gemessen an dem den Zwangsarbeitern zugefügten Unrecht und an den den Unternehmen zugeflossenen Vorteilen gering. Auch kommen Unternehmen in den Genuss der Regelung, die eine Zahlung an die Stiftung verweigert haben, obwohl auch sie Zwangsarbeiter beschäftigt hatten. Der Bund hat einen wesentlichen Teil der Stiftungslasten selbst getragen, um eine endgültige und schnelle Lösung erreichen zu können. Da es um Leistungen an die geschädigten Zwangsarbeiter, nicht aber um eine Sanktion gegen Unternehmen ging, wird die gewählte Lösung nicht dadurch zu einer verfassungsrechtlich unangemessenen, dass der Staat den größten Anteil an Lasten übernommen hat.

Ungeachtet der vielen Unzulänglichkeiten, mit denen eine so späte und so schwierige Bewältigung der Unrechtsfolgen verbunden sein musste, durfte der Gesetzgeber daher die getroffene Regelung als angemessenen Interessenausgleich werten.

Beschluss vom 7. Dezember 2004 - 1 BvR 1804/03 -

Karlsruhe, den 4. Januar 2005





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