des Zweiten Weltkrieges
Ein vorläufiger Überblick über den Stand der Forschung
Die Stadt Witten an der Ruhr besteht aus mehreren Ortsteilen, die zum Teil erst vor wenigen Jahrzehnten durch Gebiets- und Verwaltungsreformen Teil des Wittener Stadtgebietes geworden sind.
Die geschichtliche Forschung orientiert sich an den damaligen Ortsgrenzen.
Bis heute liegt noch keine Arbeit zum Thema Zwangsarbeit vor, die in detaillierter Form das gesamte heutige Stadtgebiet umfaßt.
Soweit uns Informationen zu einzelnen Ortsteilen vorliegen, veröffentlichen wir diese hier.
Ich werde versuchen, Ihnen einen Überblick über die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Herbede zu geben. Angesichts der knappen Zeit kann ich notgedrungen nicht ins Detail gehen. Vorweg möchte ich daran erinnern, dass das, was für uns "Geschichte" ist, für die überlebenden NS-Zwangsarbeitenden erlebte Gegenwart ist. Anders als die deutsche Industrie, die mit der Zahlung einer so genannten Entschädigung glaubt, einen Schlussstrich unter diesen Teil ihrer Geschichte ziehen zu können, müssen ehemalige Zwangsarbeitende seit über 55 Jahren mit den Folgen der Vernutzung ihrer Arbeitskraft leben.
Was ich Ihnen hier vortrage, ist kein abschließendes Ergebnis. Es ist der augenblickliche Stand meines Wissens zum Thema "NS-Zwangsarbeit in Herbede". Falls Sie irgendetwas darüber aus eigenem Erleben oder aus eigener Erinnerung wissen, würde ich mich freuen, wenn Sie es mir mitteilen könnten. Die historischen Quellen sind nicht sehr reichhaltig. Es ist mir z. B. noch völlig unbekannt, wie der alltägliche Umgang zwischen deutschen und nichtdeutschen Kollegen am Arbeitsplatz aussah, ob es Solidarität gab, oder Ähnliches. Die meisten Unterlagen sind verloren gegangen oder wurden vernichtet. Bei den erhaltenen Quellen ist es grundsätzlich problematisch, dass sie ausschließlich die Perspektive der Deutschen enthalten. In ihnen erscheinen Zwangsarbeitende als Objekte unternehmerischen oder polizeilichen Handelns oder als Ziel von Maßnahmen der Verwaltung, aber fast nie als konkrete Menschen.
1.
Versuchen Sie bitte, sich assoziativ ein Bild von Herbede zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zu machen. Herbede hatte etwa 10.000 EinwohnerInnen, es gab eine Reihe landwirtschaftlicher Betriebe um den Ort herum. Das Hammertal, Bommerholz, Vormholz und Durchholz waren praktisch ländliche Gemeinden. In Herbede selbst gab es einige größere industrielle Betriebe und es existierten noch einige Zechen. Die lokale Herbeder Gesellschaft war seit Jahren zur Volksgemeinschaft formiert, die NSDAP und ihre Politik erfreuten sich einer ungeheueren Unterstützung in allen Teilen der Bevölkerung. Selbst der Überfall auf Polen fand weit gehende Zustimmung, gar nicht zu sprechen von den antisemitischen Maßnahmen. Die Opposition war schwach und in den Untergrund verdrängt. Die Zuteilung von Lebensmitteln und vielen Verbrauchsgütern war staatlich geregelt, wie überhaupt praktisch jede Lebensäußerung staatlich oder von Seiten der NSDAP geregelt werden sollte.
Auf diese formierte, rassistische Gesellschaft trafen nun die ausländischen Zwangsarbeitenden. Anfangs waren es nur ein, zwei Dutzend, die im Winter 1939/40 in der Landwirtschaft schuften mussten. Ab Mai 1940, als die Wehrmacht Holland, Belgien und Frankreich überfiel, stieg die Zahl der Zwangsarbeitenden stark an. Bis zum Ende des Kriegs blieb es dabei, dass die Zahl der Zwangsarbeitenden dem Kriegsverlauf folgte. Je mehr deutsche Männer zur Wehrmacht eingezogen wurden, desto mehr Zwangsarbeitende wurden verschleppt. Vor allem nach dem Scheitern der deutschen Offensive gegen Moskau im Winter 1941/42 stieg die Zahl der Zwangsarbeitenden rapide an.
Über die Zahl der Zwangsarbeitenden in Herbede gibt es nur wenig Informationen. Ich gehe davon aus, dass ab 1942 ständig etwa 1.000 Zwangsarbeitende in Herbede schuften mussten. Gegen Kriegsende waren es etwa 1.600 zivile und 400 kriegsgefangene Zwangsarbeitende. Insgesamt dürften es während des Zweiten Weltkriegs etwa 2.500 (kriegsgefangene und zivile) gewesen sein. Der Anteil der nichtdeutschen EinwohnerInnen Herbedes betrug zwischen 1942 und Kriegsende damit ständig zwischen 10 und 20 % der Gesamtbevölkerung.
Der Begriff "Zwangsarbeit" wurde in den Quellen nie benutzt. Dort heißt es "Arbeitseinsatz" o. Ä. "Zwangsarbeit" ist ein politischer Begriff, mit dem versucht wird, den Zwangscharakter dieses speziellen Ausbeutungsverhältnisses samt seiner terroristischen Dimension auf den Punkt zu bringen. Auch wenn Kriegsgefangene laut Genfer Konvention zur Arbeit verpflichtet werden konnten, bleibt es doch erzwungene Arbeit. Außerdem trafen alle charakteristischen Kriterien für die zivile Zwangsarbeit auch auf die kriegsgefangene erzwungene Arbeit zu, weshalb ich auch hier von "Zwangsarbeit" spreche.
2.
Die Zwangsarbeitenden versuchten, sich unter den Bedingungen, unter denen zu leben sie gezwungen waren, ein Stück Normalität zu erkämpfen. Sie versuchten, familiäre und Liebesbeziehungen zu leben, zogen Kinder auf, trennten ihren Alltag in Arbeits- und Freizeit, warteten schon montags auf das Wochenende, genossen schönes Wetter und fürchteten schlechtes, versuchten ihre kulturellen und religiösen Bedürfnisse zu stillen, schrieben nach Hause, bemühten sich um Informationen über den Kriegsverlauf und die Zustände in ihren Herkunftsorten, erhielten in manchen Fällen Urlaub, drückten sich vor der harten Arbeit wo immer möglich, kämpften ständig für die Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen, usw. Das alles unter den gewalttätigen Bedingungen des Lebens in Feindesland. Den ihnen von den Deutschen zugeschriebenen Platz auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie akzeptierten sie nie, auch wenn sie ihn in der Regel nicht verlassen konnten. Juristisch, politisch und sozial aus der so genannten "Volksgemeinschaft" der als deutsch und arisch definierten BewohnerInnen Deutschlands ausgeschlossen, bildeten sie einen eigenen gesellschaftlichen Bereich inner- und unterhalb der deutschen Dominanzgesellschaft. Gegen die Behauptung, es gebe eine ethnisch reine Volksgemeinschaft, begründeten sie allein durch ihr Hiersein und ihren Kampf um ein erträgliches Leben eine multinationale Gesellschaft. Ohne ihre Arbeitsleistungen wären Versorgung und soziale Absicherung des deutschen Teils der Gesellschaft schon Anfang der 1940er-Jahre zusammengebrochen, ganz zu schweigen davon, dass Deutschland den Krieg nicht hätte führen können.
Eine einheitliche, durchgängige Bewertung der Lebensbedingungen kriegsgefangener und ziviler Zwangsarbeitenden ist nicht möglich. Entscheidend waren der jeweilige Status als kriegsgefangene oder zivile Arbeitskraft, die behördliche Zuschreibung eines "Volkstums" (Ost- oder Westarbeiter), die Art der Arbeit, die verrichtet werden musste, der Betrieb oder die Branche, in der die Arbeitskraft ausgebeutet wurde sowie die Art der Unterbringung und der Typ des Lagers.
Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand vernutzten mindestens folgende zehn Herbeder Firmen die Arbeitskraft von Zwangsarbeitenden:
Name: |
Zwangsarbeiter |
Kriegsgefangene |
Lager: |
Zeche Elisabethenglück |
15 | 200 | |
Gewerkschaft Klosterbusch |
85 | 350-450 | |
Gewerkschaft Lothringen (Zeche Holland) |
185 |
Hauptstr. (Wittener) 145 |
|
Gießerei Hammertal |
|||
Friedrich Lohmann, Walzwerk |
60 |
96 |
Hauptstr. (Wittener) 171 und 173 |
Paul Pleiger, Hammertal |
434 |
||
Maschinenfabrik Wilhelm Lange, Durchholz |
30 |
Alter Kirchweg 72 |
|
Ruhrtaler Gesenkschmiede F.W.Wengeler |
263 |
Zum Dt. Eck (Haupt- bzw. Meesmannstr. 78), und 5-6 Baracken auf der Voestenwiese (Wittener Str.) |
|
Wengeler & Kalthoff |
65 | ||
Dittmann & Neuhaus |
357 | 145 |
Schlossstraße (Werksgelände, Baracken und Gefolgschaftshäuser) |
gesamt:
|
1494
|
791-891
|
Hinzu kommen etliche Handwerksbetriebe, Bauernhöfe und Privathaushalte.
Die Herbeder Zwangsarbeitenden stammten aus der SU, Polen, Frankreich, Belgien, Holland, Italien und Serbien. Da die Lager mitten in Herbede lagen, ist davon auszugehen, dass viele HerbederInnen die Zwangsarbeiterkolonnen auf dem Weg zur Arbeit und zurück gesehen haben. Außerdem durften sie sich in gewissem Maße auch außerhalb der Lager aufhalten. Sie waren Teil des Herbeder Alltags.
3.
Grundsätzlich musste eine Firma selbst aktiv werden, wenn sie eine nichtdeutsche Arbeitskraft einstellen wollte. Niemals wurde jemand gezwungen, Zwangsarbeitende zu beschäftigen. Entsprechende Anträge wurden an das zuständige Arbeitsamt Witten gerichtet. Das sammelte alle Anforderungen aus Witten und Herbede und leitete sie an das Landesarbeitsamt Dortmund weiter. Dieses wiederum teilte seinen Außenstellen im besetzten Europa den gemeldeten Bedarf mit. In Polen, Russland und in der Ukraine waren Menschenjägerkommandos von Polizei und SS unterwegs, um die geforderte Zahl von ArbeiterInnen zu rauben. Sie überfielen regelmäßig Orte, an denen eine größere Zahl von Menschen zusammentraf, z. B. Kirchen, Kinos, Kneipen oder Schulen. Auch wurden ganze Straßenzüge gesperrt und alle Menschen eingefangen, die sich gerade dort aufhielten. Auf diese Weise gelangten auch Kranke, Alte und Kleinkinder in die Zwangsarbeitertransporte.
Die eingefangenen Menschen wurden mit der Eisenbahn zunächst in so genannte Entseuchungslager an der Grenze des Reichsgebietes gebracht. Von dort aus kamen sie in der Regel in das Durchgangslager Soest, von wo sie der Werkschutz der Herbeder Firmen oder auch der Bauer selbst abholte.
4.
Polen und Ostarbeiter mussten an ihrer Kleidung eine Kennzeichnung tragen, die sie selbst bezahlen mussten. Sie wurden in umzäunten und geschlossenen Lagern, vorzugsweise in Baracken, untergebracht. Die Betriebe waren selbst für ihre Errichtung und Bewachung verantwortlich. Am Arbeitsplatz waren deutsche Kollegen oder der Werkschutz für ihre Bewachung verantwortlich. In Landwirtschaft war es der Bauer selbst.
Die Unterbringung mag auf dem Papier erträglich gewesen sein, in Wirklichkeit waren die Lebensbedingungen äußerst mies. Bettwäsche fehlte. Schuhe und Kleidung, die der schweren Arbeit angemessen war, gab es fast gar nicht. Im Sommer litten die Zwangsarbeitenden unter der Hitze, im Winter unter der Kälte. Die meisten Lager waren stark verdreckt, weil die Betriebe kein Geld für ausreichende sanitäre Anlagen und für Waschgelegenheiten ausgeben wollten. Hitze und Dreck begünstigten die Ausbreitung von Läusen und Wanzen.
Kriegsgefangene wurden zunächst in große Stammlager, die "Stalags", gebracht. Vor dort wurden sie ihren Bestimmungsorten zugewiesen. Dort bildeten sie so genannte "Arbeitskommandos". In Durchholz gab es z.B. das Arbeitskommando 615 mit 19 französischen Kriegsgefangenen. Ich habe noch nicht herausgefunden, wo es untergebracht war und wo die Männer arbeiten mussten.
Sowjetische Kriegsgefangene mussten oft erst "aufgepäppelt" werden, weil sie so entkräftet waren, dass sie gar nicht arbeiten konnten. Wenn Kriegsgefangene arbeitsunfähig wurden, wurden sie ans Stalag zurückgegeben. Hatten sie eine Seuchenkrankheit, kamen sie in eins der Seuchenlazarette für Kriegsgefangene. Mindestens zwei Arbeiter von Dittmann & Neuhaus kamen z.B. ins Tbc-Lager Möhnesee, was gleichbedeutend mit ihrem Tod war. Die Lebensbedingungen von Kriegsgefangenen waren noch schlechter als die der zivilen OstarbeiterInnen.
Die so genannten Westarbeiter aus Westeuropa wurden ebenfalls in Lagern untergebracht. Da die Lebensbedingungen rassistisch abgestuft waren, waren ihre Lebensbedingungen jedoch erträglicher. Außerdem waren die Bedingungen in großen Lagern im Allgemeinen weniger schlecht als etwa in Lagern, die in Gaststätten eingerichtet wurden, wie etwa im "Deutschen Eck" auf der Messmannstraße. Die am wenigsten unerträglichen Lebensbedingungen gab es in der Landwirtschaft.
5.
Die Ernährung der Zwangsarbeitenden war miserabel. Zwangsarbeitende litten ständig unter Hunger. Ihre Rationen waren kleiner und weniger nahrhaft als die der Deutschen. Gleichzeitig wurden aber dieselben Arbeitsleistungen von ihnen erwartet. Sie wurden in der Regel von den Werksküchen verpflegt oder, wie im Fall des Deutschen Ecks, vom Wirt. In das Zwangsarbeitssystem waren auch die Kirchen eingebunden. So unterhielten die Schwestern des Josefshauses eine Gemeinschaftsküche, in der sie zwischen 400 und 500 Essen täglich ausgaben. Es handelte sich nicht um einen selbstlosen Dienst, sondern um bezahlte Arbeit für die nationalsozialistische Arbeitsverwaltung. Zur Bewältigung dieser Arbeit beantragte das Josefshaus Zwangsarbeiterinnen als Küchenhilfen und erhielt sie auch.
Die medizinische Versorgung der Zwangsarbeitenden war grundsätzlich desolat. Da der Zustrom an ausbeutbaren Arbeitskräften aus der Sowjetunion bis 1943 gesichert schien, wurden arbeitsunfähig erkrankte Zwangsarbeitende nach spätestens drei Wochen in ihr Herkunftsland zurückgeschickt. Einen Rechtsanspruch auf Krankheitsversorgung besaßen sie nicht, obwohl sie Krankenkassenbeiträge entrichten mussten. Wer erkrankte und nicht arbeiten konnte, erhielt zudem keinen Lohn. Das Krankengeld erhielten die Arbeitgeber als Ersatz von der Kasse. Als im Laufe des Jahres 1943 nicht mehr so viele Zwangsarbeitende ins Reich deportiert werden konnten, wurden mehr Zeit und Mittel zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft verwandt. Dennoch wurden sie deutlich schlechter als Deutsche behandelt. Beispielsweise erhielten Zwangsarbeitende wesentlich seltener Medikamente und kamen auch später als Deutsche in ein Krankenhaus. Für Herbede ist über die gesundheitliche Situation der Zwangsarbeitenden bekannt, dass etwa 1 % wegen gesundheitlich bedingter Arbeitsunfähigkeit in das Herkunftsland abgeschoben wurde und dass mindestens 25 Zwangsarbeitende gestorben sind. Sie sind auf den Herbeder Friedhöfen bestattet. Schwangere Zwangsarbeiterinnen wurden in spezielle Entbindungslager eingewiesen. Aus Herbede sind mindestens zwei Frauen nach Lütgendortmund und eine nach Waltrop eingewiesen worden.
6.
Außer der Arbeit, zu der sie verschleppt wurden, mussten Zwangsarbeitende auch andere, besonders gefährliche Arbeiten verrichten. Das waren in erster Linie Aufräumarbeiten in den zerbombten Ruhrgebietsstätten und in zweiter Linie Schanzarbeiten am "Westwall". Wegen der Gefährlichkeit der Arbeit und weil Zwangsarbeitende keine Luftschutzräume aufsuchen durften, starben viele von ihnen bei diesen Arbeiten.
Andererseits boten ihnen diese Arbeiten auch die Möglichkeit, sich einiges von dem anzueignen, was überlebensnotwendig war, wie Nahrung und Schuhe. Wer dabei erwischt wurde, wurde sehr hart bestraft, manchmal sogar mit dem Tod.
Formal gesehen war das Zwangsarbeitsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ganz eigener Art. Deswegen galten die Arbeitsschutzgesetze und die Tarifordnungen für ZwangsarbeiterInnen nicht. Zivile Zwangsarbeitende wurden grundsätzlich nach der untersten Lohngruppe bezahlt. Davon gingen bei Westarbeitern 15 und bei Ostarbeitern 30 % für Sozialversicherung und Lohnsteuer ab. Polnische Zwangsarbeitende mussten zusätzlich eine 15 %-ige Sozialausgleichsabgabe zahlen, Ostarbeiter eine 45 %-ige Ostarbeiterabgabe. Von den Lohnsteuern und Versicherungsbeiträgen hatten Zwangsarbeitende nichts: sie durften die entsprechenden Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Von ihrem Lohn wurde ihnen ferner 1,50 Reichsmark (RM) pro Tag für Unterbringung und Verpflegung abgezogen. Im Endeffekt waren die Abzüge häufig so hoch, dass überhaupt kein Lohn mehr ausbezahlt wurde. In vielen Fällen häuften sich bei den Zwangsarbeitenden sogar Schulden gegenüber ihrem Ausbeuter an. So erhielten lediglich 20 von 65 Zwangsarbeitenden von Wengeler & Kalthoff für März und April 1945 noch etwas Lohn ausgezahlt. Bei Dittmann & Neuhaus erhielten von 135 OstarbeiterInnen im selben Zeitraum lediglich 53 einen Lohnanteil, der nie über 20 % des Bruttolohns lag. Italiener wurden genauso schlecht bezahlt, Westarbeiter etwas besser. Bei der Gewerkschaft Klosterbusch wurden Zwangsarbeitende relativ und absolut am besten bezahlt.
Kriegsgefangene wurden ebenfalls sehr schlecht bezahlt: egal, wie viel sie arbeiteten, mehr als 13 RM durfte ihnen nicht ausgehändigt werden. Sehr oft erhielten sie aber keinen Pfennig. Alles, was über 13 RM hinausging, behielt der Lagerbetreiber, also etwa der Wirt des Deutschen Ecks oder die Ruhrtaler Gesenkschmiede.
7.
Angesichts der Lebensbedingungen, der Bezahlung und der ständigen Drohung mit Strafe war die Arbeitslust der Zwangsarbeitenden verständlicherweise gering. Darauf reagierten Arbeitgeber und Gestapo mit ständigem Terror. Langsames oder schlechtes Arbeiten wurde mit Einweisung in ein Arbeitserziehungslager (AEL) bestraft. Für Herbede sind mehrere Einweisungen in ein AEL nachzuweisen, ein Zwangsarbeiter kam sogar in ein KZ. Von 754 namentlich bekannten Herbeder Zwangsarbeitenden wurden immerhin 28 von der Gestapo wegen irgendeines Vergehens gegen die Arbeitsdisziplin abgeholt. Ihr weiteres Schicksal habe ich noch nicht aufklären können. Besonders viele davon mussten in der Maschinenfabrik Lange arbeiten, gefolgt von der Ruhrtaler Gesenkschmiede und von Dittmann & Neuhaus. Aber auch eine ukrainische Haushaltsarbeiterin und mehrere landwirtschaftliche Arbeiter wurden der Gestapo ausgeliefert. 100 von diesen 754, also 13,2 % zogen es vor, sich der Zwangsarbeit durch Flucht zu entziehen, 34 weitere - alles Westarbeiter - kehrten nicht aus dem Urlaub zurück. Insgesamt mindestens 25 % aller Herbeder Zwangsarbeitenden entzogen sich auf die eine oder andere Weise dem Arbeitszwang.
8.
Nach der militärischen Niederlage des deutschen Faschismus und der Besetzung Herbedes Mitte April 1945 verschafften sich befreite Zwangsarbeitende auf eigene Faust Lebensmittel, Kleidung und Schuhe. Bis Mitte Mai 1945 waren die meisten Zwangsarbeitenden repatriiert. Seit der Debatte über eine mögliche Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeitende gingen auch im Stadtarchiv Witten etliche Anträge ehemaliger Zwangsarbeitender aus Herbede ein. Bislang konnten alle Anfragen positiv beantwortet werden.
Ralph Klein
Dieser Vortrag wurde für die "Zweite Wittener Geschichtsmesse" am 23. September 2001 in Haus Herbede erstellt.
Für Fragen zum aktuellen Stand der Forschung und zu den hier nicht mitveröffentlicheten Quellenangaben wenden sie sich bitte an den Autor. Ihre Anfragen werden wir weiterleiten
HEVEN. Unter übelsten Bedingungen lebten Zwangsarbeiter des ehemaligen Guss-Stahlwerkes während des Krieges in Baracken an der Billerbeckstraße. Seit 25 Jahren steht dort die Waldorfschule. Zum Jubiläum wird heute ein Mahnmal enthüllt, das an die traurige Vergangenheit dieses Ortes erinnern soll. Der Künstler Peter Lechner hat eine Stahlplastik entworfen und angefertigt, die die doppelte Silhouette einer Baracke darstellt. "Die beiden Teile stehen dicht beieinander, um die Enge der Baracken und das Gefühl der Beklemmung bei den Zwangsarbeitern darzustellen", erklärt Peter Lechner, dessen Kinder früher die Waldorfschule besucht haben.
Vor sechs Jahren haben Lehrer und Schüler angefangen, die Geschichte ihres Schulstandortes zu erforschen. "Die ganze Schulgemeinde war sehr erschüttert, als sich herausstellte, dass hier Zwangsarbeiter aus Italien, Polen, der Ukraine und Russland gefangen gehalten wurden. Sie waren 16 bis 23 Jahre alt und mussten bis zu 16 Stunden am Tag in der damaligen Waffenfabrik arbeiten", berichtet Hartmut Becker, Geschäftsführer der Schule.
Als nach dem Brand des großen Schul-Saales die Bauarbeiten für einen Ersatzbau aufgenommen wurden, fanden die Bauleute bei Erdarbeiten Fundamente des Zwangsarbeiterlagers. "Diese Fundamente wollten wir nicht einfach wegwerfen. Wir kamen auf die Idee, ein Mahnmal zu errichten, um an die Vergangenheit dieses Ortes zu erinnern. Das tun wir auch jedes Jahr im November mit einer Gedenkfeier, an der sich die Evangelische Gemeinde Heven und die Friedensbewegung, die auch bei unseren Nachforschungen geholfen haben, immer beteiligen", schildert Becker weiter.
Peter Lechner hat drei große Stücke der alten Lager-Fundamente für seine Stahlplastik verwendet. Auf einen der großen Blöcke wurde gestern die Plastik montiert, die beiden anderen werden daneben gruppiert.
Die Schüler, die gestern mit den Vorbereitungen für ihr Jubiläumsfest beschäftigt waren, verfolgten die Aufbauarbeiten mit viel Interesse. Die Vergangenheit des Ortes, an dem sie täglich lernen, ist ihnen auch Jahrzehnte nach Kriegsende gegenwärtig, weil sie immer mal wieder Thema des Unterrichts ist. "Gegen das Vergessen" lautet hier ein Motto der Schule. Beatrice Haddenhorst
Ruhr Nachrichten. Witten. 28. 9. 2002
NS-Zwangsarbeit in Witten soll umfassend erforscht werden. Den Willen dazu bekundet der Rat in einer Resolution.
Die auf diesem Gebiet bereits begonnene Arbeit solle fortgesetzt werden. Dazu gehört auch der Auftrag an die Verwaltung,
Forschungsvorhaben zum Beispiel von der Ruhr-Uni Bochum über Zwangsarbeit in den Komunalverwaltungen des Reviers und im
Ruhrbergbau zu unterstützen. Außerdem möchte der Rat, dass die Verwaltung auch weiterhin dabei behilflich ist, wenn Zwangsarbeiter/innen Nachweise über ihren Einsatz brauchen, um Ansprüche glaubhaft zu machen.
In der Resolution befürwortet der Rat, dass sich die Stadt selbstverständlich am gemeinsamen Stiftungsfonds beteiligen wird.
Die Verhandlungen über einen finanziellen Beitrag der Länder und Kommunen stehen erst noch bevor.
Die Bürger-Initiative Gegen Zwangsarbeit hat bereits einen Betrag errechnet: 15 Millionen.
Davon sollen die Firmen 90 Prozent zahlen, die Kommune zehn. Für diesen Bürgerantrag sammelte die Initiative 350 Unterschriften, die sie dem Bürgermeister im Haupt- und Finanzausschuss übergab. (KK)
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Witten vom 1. 3. 2000
Vortrag des Archivforums beleuchtet Situation von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg im Gebiet des heutigen Ennepe-Ruhr-Kreises
Knapp 20 000 ausländische Arbeitskräfte waren während des Zweiten Weltkriegs im EN-Kreis zwangsverpflichtet. Mit ihrem Schicksal beschäftigt sich das 9. Wittener Archivforum mit einer Vortragsveranstaltung.
Gastgeber des vom Stadtarchiv organisierten Vortrags am Mittwoch, 11. Dezember, um 19 Uhr, ist die Firma J. D. Neuhaus in der Windenstraße 2.
Referentin ist Regina Mentner: "Mehr als ein Viertel aller Arbeitskräfte im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs waren Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene", sagt sie.
Die Mehrzahl war unter Zwang oder durch falsche Versprechungen zum Arbeitseinsatz deportiert oder angeworben worden.
Die Menschen arbeiteten für spärlichen Lohn in Landwirtschaft, Industrie, Privathaushalten und lebten in Baracken und Sammelunterkünften.
Von Hunger, Krankheiten sowie Gewalt mit dem Tode bedroht waren etwa 10 Mio Menschen.
Die Kreisverwaltung sorgte für die organisatorischen und verwaltungsmäßigen Rahmenbedingungen vor Ort. Darüber hinaus setzte sie selbst Zwangsarbeiter für kreiseigene Arbeiten, wie beispielsweise in der Forstwirtschaft, ein.
"Dieser Vortrag leistet einen wichtigen Beitrag zur Regionalgeschichte des Ennepe-Ruhr-Kreises", so Wittens Archivleiterin Dr. Martina Kliner-Fruck.
Mit seiner Vortragsreihe "Archivforum" will das Stadtarchiv Witten Wissenschaftlern, Heimatforschern sowie Schülern Gelegenheit geben, ihre Forschungsergebnisse zur Wittener Stadtgeschichte der Öffentlichkeit vorzustellen.
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Witten vom 7. 12. 2002
Kreis EN - Die Kreisverwaltung hat zwischen Februar 1940 und Januar 1944 bis zu 65 polnische Kriegsgefangene und sowjetische Zwangsarbeiter für Forstarbeiten und vermutlich zwei Dutzend Kriegsgefangene für Be- und Entladearbeiten eingesetzt. Für einige von ihnen unterhielt die Kreisverwaltung ein eigenes Lager. Zu diesen Ergebnissen kommt die Dortmunder Historikerin Regina Mentner. Ihre Dokumentation über die "Beschäftigung von Zwangsarbeitern für Aufgaben des alten Ennepe-Ruhr-Kreises" hat sie im Auftrag des Kreistages erstellt.
Interessierte können die knapp 40-seitige Arbeit von Regina Mentner im Internet nachlesen. en-kreis.de
Ruhr Nachrichten. Witten, 17. 10. 2002
[http://www.enkreis.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/01/dokumentationzwangsarbeit.pdf]