Film- und Gesprächsabend zur Städtepartnerschaft Witten und Tczew


"Wannseekonferenz"

Dokumentarspiel von Paul Mommertz, Regie: Heinz Schirk. Deutschland, 1983. - 80 Minuten
Kamera: Horst Schier. Mitwirkende: Dietrich Mattausch, Friedrich G. Beckhaus, Gerd Böckmann, Harald Dietl, Jochen Busse, Peter Fitz, Dieter Groest, Reinhard Glemnitz, Robert Atzorn, Martin Lüttge, Hans-Werner Büssinger, Gerd Riegauer, Rainer Steffen, Günther Spörrle, Franz Rudnick, Anita Mally.

Dienstag, den 24.1.2006 um 19.00 Uhr




Einige rückblickende Gedanken zum Film:


"Die Rede vom "Fliegendreck" auf der Landkarte, der schnellstmöglichst zu beseitigen ist, geht mir nicht mehr aus dem Sinn"
"Dass auch diese Beamten aus den Ministerien dann doch letztlich alles mitmachen, das hat mich tief erschreckt."
"In der Anwendung der Verfahrensweisen könnte eine solche Konferenz heute genauso stattfinden..."


Dies sind Äußerungen von Teilnehmern des Filmabends über ihre Gedanken zu dem Film "Wannseekonferenz". Sie stehen für die Spannbreite der Eindrücke, die der Film bei den Zuschauern hinterlassen hat, und die in der sich anschließenden regen Aussprache zeigten.

Worum geht es in diesem Film?
"Jetzt" notierte Goebbels im März 1942 zur Judenfrage, "haben wir eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt sind. Die müssen wir ausnützen."

"Jetzt", das meint den Zeitpunkt des Vernichtungskriegs gegen Polen und die Sowjetunion. Im "Pulverdampf des Krieges" lässt sich manches bewerkstelligen, was sonst Aufsehen erregen könnte.

Man trifft sich zu einer Konferenz: Heydrich und sonstige "Spitzen" von SS und SA mit Vertretern der Ministerien. 

Einziges Thema der Konferenz: 
Die Vernichtung der europäischen Juden. 
Was wird diskutiert? 
Die "Bereinigung" der Landkarte von "Fliegendreck". Das Wort steht für die Punkte auf der Landkarte, wo es noch einen jüdischen Bevölkerungsanteil zu finden gibt.

Vor allem aber werden die "immensen Transportprobleme" dieser "Aktion" besprochen. Wo noch moralische Bedenken auftauchen, lautet die lakonische und "beruhigende" Antwort: "Wo gehobelt wird, fallen auch Späne!". Wird es für den Fortgang der auf schnelle Ergebnisse ausgerichteten Konferenz doch mal eng, helfen Schnittchen und Schampus!

Die Ermordung der europäischen Juden erscheint auf dieser Konferenz immer weniger als ein moralisches Problem, ja nicht einmal hauptsächlich als ein politisches; vielmehr wird sie zunehmend nur noch als ein organisatorisches Problem dargestellt, für das die SS die geeigneten Maßnahmen treffen wird - und diese Sichtweise wird von den beteiligten Verwaltungsbeamten auch gerne aufgegriffen. Die Ermordung wird so zu einem Verfahren, das in der Abstraktion der Schreibtischarbeit, ohne unmittelbare Anschauung, durchgeführt werden kann. Ist diese Ebene erst einmal erreicht, lässt sich auch mit Verwaltungsleuten aus den Ministerien, die noch Skrupel haben, leichter verhandeln. Jetzt greifen "Verwaltungsverfahren" und es quälen lediglich "Verwaltungssorgen"; diese aber sind mit Verfahren der Verwaltung "angemessen" zu bearbeiten. So lässt sich der totale Krieg organisieren, denn alle sind verwickelt, aber auch alle irgendwie entlastet, denn auf diese Weise tun sie doch nichts Außergewöhnliches, auch nichts, was sie moralisch allzu sehr bedrängen müsste, sondern nur ihre gewohnte "alltägliche" Pflicht.

Der Verlauf des Gesprächs in der Diskussion nach dem Film führte von den individuellen Reaktionen der Zuschauer zu einer ganz grundsätzlichen Frage: Die Frage nach der Natur des Menschen und seiner Verfügbarkeit für politische Zwecke.

Gibt es da noch Hemmschwellen? Kann man sich in seiner Identität, seinem Glauben an die moralische Integrität auch unter veränderten äußeren Bedingungen noch sicher sein? Hätte es nicht doch auch Handlungsspielräume gegeben?

Es erschrecken hier zwar die kalten Ausführungen der SS, mehr noch aber die Verführbarkeit vergleichsweise unbescholtener und "korrekter" Menschen.

So zeigte sich, entgegen der von interessierter Seite gern geäußerten Forderung, dass mit der Beschäftigung mit dem III. Reich nun Schluss sein müsse und könne, dass grundlegende Fragen nach der Verführbarkeit des Menschen, der Rolle des Staates und der Selbstverantwortung des Einzelnen immer auf der Tagesordnung stehen und dass den Deutschen, insbesondere auch denen, die unmittelbar gar nicht beteiligt waren, der Schreck über die Taten ihre Volkes weiter in den Knochen steckt. 

Bei der Betrachtung des Films wird etwas deutlich, das man mit dem Bild vom moralisch integren Ich, das man von sich selber hat, nicht in Einklang bringen kann - und das irritiert.

Lähmt also der Film? Zeigt er: der Mensch ist des Menschen Wolf? Muss also nicht gerade ein starker Staat her, damit sich nicht alle zerfleischen? Wie aber, wenn der starke Staat das Zerfleischen seinerseits zum Programm macht? Ist denn die Vernichtung von Millionen Menschen ein Rückfall in die Barbarei oder ist nicht gerade erst die moderne Gesellschaft mit ihrer Aufsplittung von Arbeit und Verantwortung eine wesentliche Voraussetzung für den "Holocaust" gewesen?