Das Heimweh des Walerjan Wróbel

Materialien und Hintergründe zum Film:

Das Heinweh des Walerjan Wróbel : Ein Sondergerichtsverfahren 1941/42 / aufgezeichnet von C. U. Schmick-Gustavus . - Berlin; Bonn : Dietz Nachf. . - 1986 . - 153 S. : Ill.
ISBN 3-8012-0117-1

Seite 12


"In Polen wollen wir nur Arbeitskräfte schöpfen"

Die Geschichte, die in diesem Buch erzählt werden soll, ist die Geschichte eines Einzelnen, eines von mehr als zwei Millionen, die die deutsche Besatzungsmacht während des letzten großen Krieges allein aus Polen verschleppt und im "Reich" zur Arbeit gezwungen hat. Die Geschichte von Walerjan Wróbel wird hier dokumentiert, weil sie zeigt, was hinter jenen anonymen Zahlen steht, die in Akten, Statistiken und Geschichtsbüchern zu lesen sind: Mehr als sieben Millionen Ausländer, die während des Krieges in die deutsche Rüstungsproduktion gepreßt waren: Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen mit brutalen Zwangsmethoden aus ihrer Heimat verschleppt und in Deutschland zur Arbeit gebracht  ausgebeutet, rechtlos und rassistischem Terror ausgeliefert.

In der Zeit, in der das Sondergerichtsverfahren gegen Walerjan Wróbel durchgeführt wurde, wäre die deutsche Kriegswirtschaft ohne den Einsatz der "Fremdarbeiter" und Kriegsgefangenen nicht mehr arbeitsfähig gewesen. Anfang 1942 war in der Rüstungsindustrie bereits jeder vierte Beschäftigte ein Ausländer: "Europa arbeitet in Deutschland"  so nannte es eine nazistische Propagandabroschüre. Der "Ausländereinsatz" war zugleich ein riesiger Modellversuch für eine nach rassistischen Kriterien hierarchisierte "Endsiegs"Gesellschaft: Die Deutschen oben, die Ausländer unten  ganz unten Russen und Polen als Angehörige "minderwertiger Ostvölker".

Die "Arbeitsdisziplin der Fremdvölkischen" wurde mit einem riesigen Unterdrückungsapparat aufrechterhalten.

Dieser Apparat funktionierte aber nicht nur mit den Instrumenten staatspolizeilicher Verfolgung; er reichte auch weit hinein in den Alltag deutscher "Volksgenossen": einschüchternd wohl und drohend, aber auch Vergünstigungen verheißend und kleine Macht  der "Herrenmensch" über den "Arbeitsvölkern".

Die Geschichte von Walerjan Wróbel zeigt - wie unter einer Lupe betrachtet - die Maßstäbe für jene faschistische "Neuordnung Europas", die die NS-Führung seit Jahren geplant und vorbereitet hatte. Der Krieg gegen Polen war ihre erste Etappe.

Hitler hat in einer Besprechung mit seinen Generälen die Ziele des "Polen-Feldzugs" knapp umschrieben: Erstens die Erfassung des polnischen Wirtschaftspotentials und zweitens die Zwangsrekrutierung sämtlicher verfügbaren Arbeitskräfte. Das erste Ziel sollte die Lebensmittelversorgung der deutschen Zivilbevölkerung sicherstellen: Kein Kriegs und Hunger-Winter durfte den deutschen Willen zum "Endsieg" lähmen. Rücksichtslose Abschöpfung von Lebensmittelreserven in den besetzten Ländern hieß die Parole. Den gleichen Zweck verfolgte auch die zweite Absicht. Wegen der Vollbeschäftigung in der Rüstungsproduktion und wegen der Einberufung deutscher Arbeitskräfte zur Wehrmacht waren erhebliche Lücken gerade in der landwirtschaftlichen Erzeugung entstanden. Sie sollten durch die in Polen "zu schöpfenden Arbeitskräfte" ausgeglichen werden.

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Anmerkung: "In Polen wollen wir nur Arbeitskräfte schöpfen", vgl. hierzu die "Besprechung des Führers mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vom 17.10. 1939 abends", in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 1947, Bd. XXVI, S. 378.