Das Heimweh des Walerjan Wróbel

Materialien und Hintergründe zum Film:

Das Heinweh des Walerjan Wróbel : Ein Sondergerichtsverfahren 1941/42 / aufgezeichnet von C. U. Schmick-Gustavus . - Berlin; Bonn : Dietz Nachf. . - 1986 . - 153 S. : Ill.
ISBN 3-8012-0117-1

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Aber nicht nur, daß die Akte erhalten ist und benutzt werden kann, ist ein Zufall, - daß sie überhaupt angelegt wurde, war nicht selbstverständlich, denn schon kurz nach dem Abschluß des Verfahrens gegen Walerjan hat man die letzten Reste einer "regulären" "Strafjustiz für Polen, Russen, Juden und Zigeuner abgeschafft. Hierüber existiert ein Brief von Thierack, dem damaligen Reichsminister der Justiz, an Bormann, den Adjutanten des "Führers". Thierack schrieb am 13. Oktober 1942:


An Herrn Reichsleiter Bormann
Führerhauptquartier
Betrifft: Strafrechtspflege gegen Polen, Russen, Juden und Zigeuner


Sehr verehrter Herr Reichsleiter!

Unter dem Gedanken der Befreiung des deutschen Volkskörpers von Polen, Russen,
Juden und Zigeunern und unter dem Gedanken der Freimachung der zum Reich
gekommenen Ostgebiete als Siedlungsland für das deutsche Volkstum beabsichtige
ich, die Strafverfolgung gegen Polen, Juden, Russen und Zigeuner dem
Reichsführer-SS zu überlassen. Ich gehe hierbei davon aus, daß die Justiz nur in
kleinem Umfange dazu beitragen kann, Angehörige dieses Volkstums auszurotten.
Zweifellosfällt die Justiz jetzt sehr harte Urteile gegen solche Personen, aber das
reicht nicht aus, um wesentlich zur Durchführung des oben angeführten Gedankens

beizutragen. Es hat auch keinen Sinn, solche Personen Jahre hindurch in deutschen
Gefängnissen und Zuchthäusern zu konservieren, selbst dann nicht, wenn, wie das
heute weitgehend geschieht, ihre Arbeitskraft für Kriegszwecke ausgenutzt wird.

Dagegen glaube ich, daß durch die Auslieferung solcher Personen an die Polizei,
die sodann frei von gesetzlichen Straftatbeständen ihre Maßnahmen treffen kann,
wesentlich bessere Ergebnisse erzielt werden. Ich gehe hierbei davon aus, daß
solche Maßnahmen im Kriege durchaus begründet erscheinen und daß gewisse von mir
für notwendig erachtete Voraussetzungen beachtet werden. Diese Voraussetzungen
bestehen darin, daß Polen und Russen nur von der Polizei verfolgt werden können,
wenn
sie bis zum 1. September 1939 ihren Aufenthalt oder Wohnsitz im ehemaligen
Staatsgebiet Polen oder der Sowjetunion hatten, und zweitens, daß Polen, die zur
deutschen Volksliste angemeldet oder in ihr eingetragen worden sind, weiterhin der
Strafverfolgung durch die Justiz überlassen bleiben.

Dagegen wäre eine Strafverfolgung gegen Juden und Zigeuner ohne diese
Voraussetzungen durch die Polizei durchzuführen.

An der Strafverfolgung anderen fremden Volkstums durch die Justiz soll dagegen
nichts geändert werden.
Der Reichsführer-SS, mit dem ich diese Gedanken besprochen habe, stimmt ihnen zu.
Herrn Dr. Lammers habe ich ebenfalls unterrichtet.

Ich trage Ihnen das, sehr verehrter Herr Reichsleiter, vor mit der Bitte, mich
wissen zu lassen, ob der Führer diese Auffassung billigt. Bejahendenfalls würde
ich sodann mit meinen formellen Vorschlägen hervortreten.
Heil Hitler!
Ihr Th.



Anmerkung: Thierack-Brief an Bormann - hier zitiert nach einem Faksimile, das im Archiv der Warschauer
Hauptkommission zur Erforschung der NS-Verbrechen in Polen aufbewahrt wird
(MTN 252 K.94-95); [...]
Thieracks Konzept entspricht den kurz zuvor vom "Führer" entwickelten Gedankengängen,
vgl. Hitler über die Justiz. DasTischgespräch vom 20. 8. 42
in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte12 (1964), S. 86ff.